by Andreas Gauger

Bindungstrauma verstehen: Wie frühe Erfahrungen unser Leben prägen – und was wir daraus lernen können

Folgen, Narzisstischer Missbrauch: Formen, Folgen & Heilung

Ein Bindungstrauma kann das ganze Leben beeinflussen, ohne dass wir es bemerken. Beziehungen verlaufen nach demselben schmerzhaften Muster, Vertrauen fällt schwer, und Nähe kann genauso beängstigend sein wie das Alleinsein.

Viele Menschen denken, sie hätten „einfach Pech“ in der Liebe oder müssten sich nur endlich „richtig entscheiden“. Doch oft liegt die Ursache viel tiefer – in den Bindungserfahrungen, die wir in unserer Kindheit gemacht haben.

Bindungstrauma entsteht, wenn die früheste und wichtigste Form von Beziehung – die zu unseren engsten Bezugspersonen – von Unsicherheit, Zurückweisung oder emotionaler Unberechenbarkeit geprägt ist.

Was ein Kind in den ersten Jahren erlebt, wird zur stillen Grundmelodie seines gesamten Lebens.

In diesem Artikel erfährst du, was Bindungstrauma genau ist, wie es sich auf deine Beziehungen auswirkt und was du tun kannst, wenn du dich darin wiedererkennst.

Was ist ein Bindungstrauma?

Ein Bindungstrauma entsteht nicht durch einzelne verletzende Erfahrungen – sondern durch einen Zustand, in dem ein Kind über lange Zeit hinweg das Gefühl hat, emotional nicht sicher zu sein.

Das kann durch ständige Zurückweisung passieren, durch die Unfähigkeit der Eltern, emotionale Nähe zu geben, oder durch widersprüchliches Verhalten, das das Kind nie einschätzen kann.

Die Bindungsforschung zeigt: Kinder sind biologisch darauf programmiert, eine sichere emotionale Verbindung zu ihren engsten Bezugspersonen aufzubauen.

Doch wenn diese Bindung durch Stress, Vernachlässigung oder emotionale Instabilität gestört wird, kann das langfristige Folgen haben.

Karl Heinz Brisch, einer der führenden Bindungsforscher, beschreibt, dass Bindungstrauma vor allem dann entsteht, wenn ein Kind in einem Zustand dauerhafter innerer Alarmbereitschaft lebt.

Das Nervensystem passt sich an – doch es tut das auf eine Weise, die später in Beziehungen oft zu tiefen Unsicherheiten führt.

💡 Wichtig: Bindungstrauma ist kein einzelnes Ereignis – sondern ein Muster, das sich über Jahre formt und sich oft erst im Erwachsenenalter voll entfaltet.

Wie ein Bindungstrauma unser Nervensystem formt

Bindung ist mehr als nur ein emotionales Konzept – sie ist tief in unserem Nervensystem verankert. Von Geburt an sucht unser Gehirn nach Sicherheit in der Verbindung zu anderen Menschen.

Karl Heinz Brisch, einer der führenden Bindungsforscher, beschreibt, dass sich unsere frühesten Erfahrungen direkt in unsere biologischen Stress- und Regulationssysteme einschreiben.

Wenn ein Kind eine sichere Bindung erlebt, entwickelt es ein stabiles inneres Modell von Beziehungen: Die Welt ist ein sicherer Ort. Nähe fühlt sich gut an. Andere Menschen sind verlässlich.

Doch wenn ein Kind durch emotionale Vernachlässigung, Inkonsistenz oder Zurückweisung immer wieder in einen Zustand innerer Alarmbereitschaft gerät, verändert das seine gesamte Wahrnehmung von Bindung.

Das Nervensystem passt sich an – aber auf eine Weise, die später oft zu tiefen Unsicherheiten führt.

Die vier Bindungstypen nach Brisch – und was sie für unser Beziehungsverhalten bedeuten

Unsere Bindungserfahrungen formen uns auf einer so tiefen Ebene, dass wir als Erwachsene oft unbewusst die Muster wiederholen, die wir als Kinder gelernt haben. Brisch beschreibt vier zentrale Bindungstypen:

1️⃣ Sichere Bindung: Menschen mit einer sicheren Bindung haben gelernt, dass Nähe verlässlich ist. Sie fühlen sich in Beziehungen wohl, können offen kommunizieren und vertrauen darauf, dass sie geliebt werden.

2️⃣ Unsicher-vermeidende Bindung: Wer als Kind gelernt hat, dass Nähe mit Zurückweisung oder Desinteresse verbunden ist, neigt später dazu, Beziehungen zu meiden oder emotional distanziert zu bleiben. Nähe fühlt sich nicht sicher, sondern bedrohlich an.

3️⃣ Unsicher-ambivalente Bindung: Wenn ein Elternteil mal liebevoll und dann wieder distanziert ist, entwickelt das Kind eine tiefe Angst vor Verlassenwerden. Später zeigen sich starke Verlustängste, emotionale Abhängigkeit und das Gefühl, sich Liebe immer erst verdienen zu müssen.

4️⃣ Desorganisierte Bindung: Wenn ein Kind mit einem unberechenbaren, oft selbst traumatisierten Elternteil aufwächst, entsteht eine paradoxe Situation: Die Person, die eigentlich Schutz bieten sollte, ist gleichzeitig die größte Quelle von Angst. Diese Menschen entwickeln oft ein tiefes Misstrauen gegenüber Nähe und erleben intensive Wechsel zwischen Anziehung und Abstoßung in ihren Beziehungen.

👉 Die Bindungstypen wurden ursprünglich von Mary Ainsworth & John Bowlby entdeckt und ausgearbeitet und später durch weitere Forscher wie Main & Solomon ergänzt. Brisch hat diese Konzepte stark erweitert. Er hat viel dazu geforscht, wie frühkindliche Traumata und langanhaltender Stress unser Bindungssystem verändern und wie sich frühkindlich geprägte Bindungsmuster im Erwachsenenalter äußern. Seine Arbeit bezieht auch neurobiologische Erkenntnisse mit ein, besonders in Bezug auf Stressregulation und Trauma.

💡 Wichtig: Unser Bindungsmuster ist kein festgeschriebenes Schicksal – aber es prägt, wie wir Beziehungen erleben und welche Partner wir anziehen. Bewusstheit ist der erste Schritt zur Veränderung.

Wie ein Bindungstrauma unser Beziehungsverhalten prägt

Viele Menschen spüren erst in ihren erwachsenen Beziehungen, dass etwas nicht stimmt. Vielleicht fällt es dir schwer, Vertrauen aufzubauen, oder du fühlst dich in Beziehungen schnell eingeengt.

Vielleicht suchst du unbewusst Partner, die dir emotional das geben, was du als Kind vermisst hast – und gerätst dabei in toxische Muster.

Das liegt daran, dass unser Bindungssystem sich in der Kindheit formt – und wir als Erwachsene instinktiv nach dem suchen, was uns vertraut erscheint.

Wenn du als Kind gelernt hast, dass Liebe unberechenbar oder an Bedingungen geknüpft ist, kann es sein, dass du dieses Muster in deine Beziehungen überträgst.

💡 Wichtig: Beziehungen im Erwachsenenalter fühlen sich oft wie eine Wiederholung alter Muster an – doch das bedeutet nicht, dass du diesen Mustern ausgeliefert bist.

Bindungstrauma durch narzisstische Eltern – Wenn Liebe unberechenbar war

Für Kinder ist das Zuhause der erste Ort, an dem sie lernen, was Nähe, Vertrauen und Sicherheit bedeuten. Doch was, wenn diese Sicherheit nie wirklich da war? Wenn Liebe sich nicht nach Geborgenheit, sondern nach einem ständigen Balanceakt angefühlt hat?

Ein Bindungstrauma entsteht besonders dann, wenn ein Elternteil emotional unberechenbar oder narzisstisch geprägt ist. Das ist besonders häufig der Fall, wenn das Kind einen narzisstischen Elternteil hat - also eine narzisstische Mutter oder einen narzisstischen Vater.

In solchen Familien gibt es keine verlässliche emotionale Basis – stattdessen schwankt das Kind zwischen Momenten der Nähe und plötzlicher Zurückweisung.

Typische Dynamiken in narzisstischen Familien:

  • Ein Elternteil gibt Liebe nur unter Bedingungen – das Kind fühlt sich nie sicher.
  • Nähe wird mit Kontrolle verwechselt: Das Kind darf keine eigene Identität entwickeln.
  • Emotionales Gaslighting führt dazu, dass das Kind irgendwann an der eigenen Wahrnehmung zweifelt.

Die Folge? Ein tiefes, inneres Misstrauen – nicht nur gegenüber anderen, sondern auch gegenüber den eigenen Gefühlen. Viele Erwachsene, die mit narzisstischen Eltern aufgewachsen sind, erleben später eine innere Zerrissenheit:

Sie sehnen sich nach Liebe, doch sobald jemand ihnen wirklich nahekommt, empfinden sie Angst oder Ablehnung.

💡 Wichtig: Wenn Liebe in der Kindheit unberechenbar war, kann es sein, dass du als Erwachsener Nähe mit Unsicherheit verknüpfst – doch das bedeutet nicht, dass du nicht lernen kannst, gesunde Beziehungen zu führen.

👉 Wenn du ein Kind mit einem narzisstischen Ex-Partner hast, weißt du, wie schwer es ist, ihm Sicherheit zu geben, während der andere Elternteil ständig Grenzen überschreitet.
Vielleicht kämpfst du damit, dein Kind vor Manipulation zu schützen, oder du fragst dich, wie du ihm die emotionale Stabilität geben kannst, die du selbst als Kind gebraucht hättest.
Es ist brutal schwer, doch du kannst der Anker sein, der deinem Kind zeigt, dass Bindung auch anders geht. Auch wenn du das Verhalten des narzisstischen Elternteils nicht ändern kannst, kannst du dein Kind darin stärken, sich selbst treu zu bleiben – und es vor den tiefen Wunden bewahren, die unsicher gebundene Beziehungen hinterlassen.
Wie du dein Kind schützt und stärkst, erfährst du hier:
Wie du dein Kind stärkst, wenn der andere Elternteil narzisstisch ist

Wie du dein eigenes Kind vor einem Bindungstrauma schützt (Co-Parenting mit einem Narzissten)

Viele Menschen, die in ihrer Kindheit Bindungstrauma erlebt haben, tragen eine tiefe Angst in sich: „Werde ich diese Muster an mein eigenes Kind weitergeben?“

Besonders, wenn der andere Elternteil narzisstische Züge hat, kann es eine Herausforderung sein, das eigene Kind vor denselben schmerzhaften Erfahrungen zu bewahren.

Doch das Wichtigste zuerst: Dein Kind braucht keinen perfekten Elternteil – es braucht einen verlässlichen.

Was du tun kannst, um dein Kind emotional zu stärken:

  • Sei ein sicherer Hafen: Dein Kind sollte wissen, dass deine Liebe nicht an Bedingungen geknüpft ist.
  • Hilf deinem Kind, die Realität zu verstehen: Wenn der narzisstische Elternteil manipuliert oder spaltet, braucht dein Kind jemanden, der ihm eine stabile Perspektive gibt.
  • Achte auf emotionale Bestätigung: Ein Kind, das sich gesehen und verstanden fühlt, ist weniger anfällig für toxische Dynamiken.

💡 Wichtig: Auch wenn du den anderen Elternteil nicht ändern kannst – du kannst der Anker sein, der deinem Kind zeigt, was eine gesunde Bindung bedeutet.

👉 Mehr dazu, wie du dein Kind schützt, wenn der Vater oder die Mutter des Kindes narzisstisch ist, findest du hier:
➡ Gemeinsame Kinder mit einem Narzissten – Co-Parenting zwischen Manipulation und Grenzsetzung

Bindungstrauma und die Entwicklung einer Komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung (KPTBS)

Nicht jedes Bindungstrauma entwickelt sich automatisch zu einer tiefgreifenden Traumafolgestörung.

Doch wenn die emotionale Unsicherheit in der Kindheit über Jahre hinweg besteht – und sich mit weiteren belastenden Erfahrungen wie Vernachlässigung, psychischer Gewalt oder extremem Stress verbindet – kann sich eine Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung (KPTBS) entwickeln.

Die Traumaforscherin Judith Hermann beschreibt KPTBS als eine Form von Trauma, die nicht durch ein einzelnes, schockartiges Ereignis entsteht (wie eine klassische PTBS), sondern durch anhaltende, überwältigende Erfahrungen in Beziehungen.

Menschen mit Bindungstrauma, die später Symptome einer KPTBS entwickeln, kämpfen oft mit:

  • Chronischer emotionaler Dysregulation: Starke Schwankungen zwischen intensiven Emotionen und emotionaler Taubheit.
  • Negativem Selbstbild: Das Gefühl, grundlegend „falsch“ oder „nicht liebenswert“ zu sein.
  • Beziehungsproblemen: Instinktives Misstrauen gegenüber Nähe, aber gleichzeitig tiefe Sehnsucht nach Verbindung.
  • Dissoziativen Zuständen: Schwierigkeiten, in stressigen Momenten geerdet zu bleiben – das Gefühl, „abzuschalten“.

💡 Wichtig: Während klassische PTBS oft durch ein einzelnes Schocktrauma ausgelöst wird, entwickelt sich KPTBS aus langanhaltenden, belastenden Beziehungserfahrungen. Doch Heilung ist möglich – besonders, wenn die Muster bewusst erkannt und durchbrochen werden.

Heilung von Bindungstrauma – Wie wir alte Muster durchbrechen können

Der vielleicht wichtigste Punkt ist: Bindungstrauma ist kein endgültiges Urteil. Auch wenn unsere frühesten Erfahrungen uns geprägt haben, bedeutet das nicht, dass wir für immer in diesen Mustern gefangen bleiben.

Was in Beziehungen verwundet wurde, kann nur in Beziehungen heilen.

Doch Heilung bedeutet nicht nur, neue Beziehungen zu führen – sie beginnt zuerst in uns selbst.

Viele von uns haben gelernt, dass Nähe nicht sicher ist, dass wir für Liebe kämpfen müssen oder dass unsere Gefühle zu viel sind. Doch diese Muster können wir Schritt für Schritt hinterfragen.

1. Die eigene Geschichte verstehen

Bevor wir etwas verändern können, müssen wir es erkennen. Wenn wir begreifen, dass unsere Ängste und Muster nicht „einfach so“ entstanden sind, sondern aus vergangenen Erfahrungen resultieren, können wir beginnen, sie bewusst zu hinterfragen.

2. Neue Erfahrungen mit sicherer Bindung machen

Unser Bindungssystem kann sich ein Leben lang weiterentwickeln. Durch sichere, stabile Beziehungen – sei es zu Freunden, einem Partner oder sogar in therapeutischen Räumen – lernen wir, dass Nähe nicht automatisch Gefahr bedeutet.

3. Selbstregulation lernen

Bindungstrauma hinterlässt oft eine Überaktivierung des Nervensystems. Achtsamkeit, Körperarbeit und Techniken wie EMDR oder somatische Therapie können helfen, die innere Alarmbereitschaft schrittweise zu regulieren.

💡 Wichtig: Unser Bindungsmuster ist kein festgeschriebenes Schicksal. Heilung passiert nicht über Nacht – aber sie passiert, wenn wir beginnen, uns selbst anders zu begegnen.

👉 Die Welt wird immer dysregulierter - Setze ein Gegengewicht!

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Toxische Beziehung

Nach dem Bindungstrauma - Die Reise zurück zu uns selbst

Viele von uns sind mit der tiefen Überzeugung aufgewachsen, dass Liebe etwas ist, das wir uns erst verdienen müssen. Dass Nähe ein Balanceakt ist, den wir ständig austarieren müssen. Oder dass es sicherer ist, niemanden wirklich an uns heranzulassen.

Wenn wir in einem bindungstraumatischen Umfeld aufgewachsen sind, fühlen sich diese Muster so vertraut an, dass wir sie kaum hinterfragen.

Sie werden zu unserem inneren Kompass – auch wenn sie uns in die falsche Richtung führen. Doch genau hier liegt die Erkenntnis, die alles verändern kann:

💡 Wir waren nie wirklich verloren – wir haben uns nur angepasst.

Ganz gleich, ob du als Kind narzisstischer Eltern aufgewachsen bist oder dein eigenes Kind vor einem Bindungstrauma bewahren möchtest – die Reise führt immer an denselben Punkt: zu uns selbst.

Denn Heilung beginnt nicht mit dem Versuch, das Außen zu kontrollieren. Sie beginnt in dem Moment, in dem wir aufhören, "da draußen" nach Liebe zu suchen – und anfangen, die Verbindung mit uns selbst wiederzufinden.

Diese tiefe Verbindung mit uns selbst sollte nicht das angestrebte Ergebnis unserer Verbindung mit anderen sein, sondern deren Ausgangsbasis - Start und Zielpunkt in einem.

Raus aus toxischen Beziehungsmustern - zurück zu dir!

Du hast mehr Einfluss, als du glaubst. Wenn du spürst, dass es so nicht weitergehen kann und dich danach sehnst, wieder ganz bei dir selbst anzukommen, lass uns reden.

Seit über 13 Jahren begleite ich Menschen dabei, sich aus toxischen Beziehungen zu befreien und zurück zu sich selbst zu finden.

Meine Methode verbindet die effektivsten Ansätze aus Coaching, Persönlichkeitsentwicklung, buddhistischer und allgemeiner Psychotherapie, Taoismus, Stoizismus und Resilienzforschung.

Wenn du diesen Weg selbst gehen möchtest, freue ich mich darauf, dich kennenzulernen.

Andreas

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