by Andreas Gauger

Komplextrauma (KTBS): Wie langanhaltende Belastungen unser Leben prägen – und wie Heilung möglich ist

Folgen, Narzisstischer Missbrauch: Formen, Folgen & Heilung

Ein Komplextrauma ist lange Zeit unsichtbar – und doch verändert es alles. Es entsteht nicht durch einen einzigen Schockmoment, sondern durch eine Realität, die sich über Jahre hinweg in die eigene Wahrnehmung eingegraben hat.

Nicht ein einzelnes Ereignis, sondern das, was immer wieder passiert ist – oder nie passiert ist, obwohl es hätte da sein müssen.

Viele Menschen, die unter den Folgen eines Komplextraumas leiden, erkennen sich in den klassischen Trauma-Definitionen nicht wieder. Sie haben nie einen schweren Unfall erlebt, keinen Krieg durchgemacht, kein einmaliges extremes Gewaltverbrechen erlitten.

Und doch gibt es etwas in ihnen, das tief verwundet ist. Ein unbestimmtes Gefühl, nie wirklich sicher gewesen zu sein. Eine chronische Unruhe, als wäre der Boden unter ihren Füßen nie ganz stabil.

Doch was bedeutet es eigentlich, ein Komplextrauma zu haben?

Warum fühlen sich Menschen mit einer solchen Vergangenheit oft innerlich zerrissen, kämpfen mit Identitätsfragen oder toxischen Beziehungen? Und – die wichtigste Frage von allen – wie ist Heilung möglich?

In diesem Artikel tauchen wir tief in das Konzept der Komplexen Traumatisierung nach Judith Herman ein und schauen uns an, wie sich wiederholte traumatische Erfahrungen auf das Nervensystem, das Selbstbild und zwischenmenschliche Beziehungen auswirken.

Was ist ein Komplextrauma? (KPTBS nach Judith Herman)

Viele Menschen verbinden Trauma mit einzelnen, schockartigen Erlebnissen – einem Unfall, einer Naturkatastrophe, einer Gewalterfahrung.

Doch Komplextrauma entsteht anders. Es ist das Ergebnis wiederholter, langfristiger Belastungen, die die eigene Psyche nach und nach formen – bis sie nicht mehr weiß, was eigentlich „normal“ ist.

Die Traumaforscherin Judith Herman beschreibt Komplextrauma als eine Form von Traumatisierung, die nicht durch eine einzelne Katastrophe ausgelöst wird, sondern durch eine Lebensrealität, die über lange Zeit hinweg von Angst, Unsicherheit oder Kontrollverlust geprägt war.

Typische Ursachen für ein Komplextrauma sind:

  • Eine Kindheit in einem emotional unsicheren Umfeld – z. B. durch narzisstische oder emotional unreife Eltern.
  • Langfristiger psychischer oder körperlicher Missbrauch – oft nicht offensichtlich, sondern subtil und manipulierend.
  • Dauerhafte emotionale Vernachlässigung – nicht gesehen, nicht gehört, nicht ernst genommen werden.
  • Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse, in denen keine echte Kontrolle über das eigene Leben möglich war.

💡 Wichtig: Komplextrauma entsteht oft in den frühesten Lebensjahren – aber es zeigt sich meist erst viel später, wenn alte Muster sich immer wieder in Beziehungen und im eigenen Selbstbild wiederholen.

Wie ein Komplextrauma unser Selbstbild und unsere Beziehungen prägt

Wer mit einem Komplextrauma lebt, merkt oft nicht sofort, dass die eigenen Erfahrungen etwas Außergewöhnliches sind. Schließlich gab es keinen plötzlichen Bruch, keine sichtbare Narbe, keinen klaren Moment, in dem alles anders wurde.

Stattdessen war es ein schleichender Prozess, in dem sich der eigene Blick auf die Welt nach und nach geformt hat.

Menschen mit einer komplexen Traumatisierung erleben oft eine tiefe innere Zerrissenheit. Auf der einen Seite ist da die Sehnsucht nach Nähe, nach Verbindung, nach dem Gefühl, endlich irgendwo sicher anzukommen.

Auf der anderen Seite ist da eine diffuse Angst, die genau das verhindert. Das Misstrauen, das selbst in den besten Momenten noch im Hintergrund lauert. Der Reflex, sich zurückzuziehen, wenn jemand zu nah kommt – oder sich zu klammern, aus Angst, wieder verloren zu gehen.

Das eigene Selbstbild ist dabei oft ebenso zerrissen. Viele Betroffene haben das Gefühl, als gäbe es zwei Versionen von ihnen:

Die nach außen funktionierende, leistungsfähige Person, die sich in ihrem Umfeld behauptet – und das innere Ich, das sich unsicher, entwurzelt oder zutiefst erschöpft fühlt. Diese innere Diskrepanz kann ein permanentes Gefühl der Identitätslosigkeit erzeugen.

Wer bin ich wirklich? Wer wäre ich geworden, wenn ich von Anfang an in einem sicheren Umfeld aufgewachsen wäre?

💡 Wichtig: Komplextrauma ist nicht nur eine Wunde aus der Vergangenheit – es beeinflusst, wie wir uns selbst sehen, wie wir Beziehungen erleben und welche Entscheidungen wir im Leben treffen. Doch es bedeutet nicht, dass diese Muster für immer unveränderlich sind.

Warum sich die Folgen eines Komplextraumas oft erst im Erwachsenenalter zeigen

Viele Menschen, die unter den Folgen eines Komplextraumas leiden, erkennen erst spät, was wirklich dahintersteckt. In der Kindheit war das, was sie erlebt haben, einfach „normal“.

Es gab keinen Vergleich, keine Alternative – und oft auch niemanden, der ihnen gesagt hat, dass das, was sie durchmachen, eigentlich nicht richtig war.

Im Erwachsenenalter kommt die Vergangenheit jedoch oft in anderer Form wieder hoch. Vielleicht in Beziehungen, in denen sich dasselbe alte Gefühl von Unsicherheit und Unberechenbarkeit zeigt.

Vielleicht in der ständigen Angst, nicht genug zu sein, nicht zu genügen, immer irgendwie falsch zu sein. Oder in einem tiefen Gefühl von innerer Leere, das sich auch durch Erfolge, Anerkennung oder neue Erfahrungen nicht wirklich füllen lässt.

Komplextrauma „wartet“ nicht – es wirkt im Hintergrund weiter. Manchmal bricht es durch, wenn eine neue, eigentlich sichere Beziehung entsteht und plötzlich Angst auslöst, obwohl kein Grund dafür da ist.

Oder es zeigt sich in Form von emotionaler Taubheit, in Momenten, die eigentlich berühren sollten, aber nichts auslösen.

Erst wenn wir beginnen, diese Muster zu hinterfragen, können wir erkennen, dass sie kein zufälliger Teil unserer Persönlichkeit sind – sondern eine erlernte Überlebensstrategie.

💡 Wichtig: Ein Komplextrauma ist nicht einfach „irgendwann vorbei“, nur weil die belastenden Umstände nicht mehr da sind. Es lebt in den Mustern weiter, die wir aus diesen Erfahrungen gelernt haben – bis wir sie bewusst in Frage stellen.

Ist Narzissmus eine Form von KPTBS? Die umstrittene Verbindung zwischen Trauma und Persönlichkeitsstörungen

Wenn wir über Komplextrauma sprechen, denken wir oft an Menschen, die in ihrem Leben unsicher gebunden waren, sich schwer tun, Vertrauen zu fassen oder unter der Last ihrer Vergangenheit zusammenbrechen.

Aber was, wenn sich Trauma nicht nur durch Rückzug, Angst und Unsicherheit äußert – sondern auch durch emotionale Abspaltung, Grandiosität und Manipulation?

Prof. Sam Vaknin, einer der bekanntesten Experten für pathologischen Narzissmus, vertritt die Ansicht, dass die narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS) eine Schutzreaktion auf tiefes, unverarbeitetes Trauma sein könnte.

Nach seiner Hypothese spaltet sich der Narzisst von seinen ursprünglichen, verletzlichen Anteilen ab und erschafft eine übersteigerte, unverwundbare Version von sich selbst – nicht aus Boshaftigkeit, sondern als Überlebensstrategie.

Judith Herman, die den Begriff der komplexen PTBS prägte, hat sich dazu nicht explizit in Bezug auf Narzissmus geäußert.

Sie beschreibt jedoch die Borderline-Persönlichkeitsstörung als mögliche Traumafolgestörung, was darauf hindeutet, dass sich Persönlichkeitsmuster durch langanhaltende emotionale Unsicherheit formen können.

Zumal sowohl die narzisstische, als auch die Borderline Persönlichkeitsstörung beide zu den Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen zählen, also gewisse Ähnlichkeiten aufweisen.

Übrigens teilen - wie sollte es auch anders sein - nicht alle Experten diese Sichtweise.

Während einige Forscher die Idee stützen, dass es sich bei den Cluster-B-Störungen letztlich um Trauma-Folgestörungen handelt, argumentieren andere, dass auch genetische und neurobiologische Faktoren eine entscheidende Rolle spielen.

Und hier kommen wir an einen Punkt, der tiefer geht als jede Diagnose. Denn unabhängig davon, ob Narzissmus eine Form von KPTBS ist oder nicht – die Wurzeln toxischer Muster liegen oft in frühkindlichen Bindungstraumata.

Wer nie gelernt hat, dass Liebe sicher ist, muss sich eigene Überlebensstrategien erschaffen. Manche ziehen sich zurück, einige erstarren und andere erschaffen sich ein künstliches Selbst, um niemals wieder verletzt zu werden.

💡 Wichtig: Ob Narzissmus als KPTBS betrachtet wird oder nicht – fest steht, dass tief verankerte Bindungstraumata zerstörerische Beziehungsdynamiken auslösen können.

Mehr dazu, wie Bindungstraumata und Komplextraumata unsere Psyche formen:

Bindungstrauma verstehen: Wie frühe Erfahrungen unser Leben prägen – und was wir daraus lernen können

Komplextrauma durch narzisstischen Missbrauch – wenn Beziehungen zur dauerhaften Belastung werden

Nicht jedes Trauma entsteht in der Kindheit. Manche Menschen erleben ihre tiefste Verletzung erst im Erwachsenenalter – in einer Beziehung, die sie systematisch zermürbt hat.

Toxische Beziehungen können alle Merkmale eines Komplextraumas hinterlassen. Wer über Monate oder Jahre hinweg Manipulation, emotionale Gewalt, ständige Entwertung oder Abhängigkeit erlebt, lebt oft in einem Zustand chronischer Alarmbereitschaft.

Die eigene Realität wird angezweifelt, Grenzen werden durchbrochen, Selbstzweifel werden tief ins Bewusstsein gepflanzt – bis nichts mehr sicher erscheint.

Besonders in Beziehungen mit narzisstischen Partnern gibt es Muster, die mit klassischen KPTBS-Mechanismen übereinstimmen:

  • Gaslighting und kognitive Dissonanz sorgen dafür, dass Betroffene sich nicht mehr auf ihre eigene Wahrnehmung verlassen können.
  • Wechsel zwischen Idealisierung und Abwertung erzeugt einen emotionalen Zustand, in dem das Nervensystem permanent zwischen Hoffnung und Angst gefangen ist.
  • Trauma Bonding verstärkt die Abhängigkeit – und verhindert oft eine klare Trennung, selbst wenn die Beziehung längst zerstörerisch ist.

💡 Wichtig: Komplextrauma kann nicht nur durch Kindheitserfahrungen entstehen – sondern auch durch eine Beziehung, die über lange Zeit hinweg die eigene psychische Stabilität untergräbt.

Mehr dazu, wie toxische Beziehungen und Komplextrauma zusammenhängen:

Beziehung mit einem Narzissten: Was sie so herausfordernd macht – und welche Fehler du vermeiden solltest

Heilung von Komplextraumatisierungen – Wie wir uns selbst zurückholen können

Was in Beziehungen verwundet wurde, kann in Beziehungen heilen. Das ist einer der zentralen Erkenntnisse in der Traumaforschung – und doch fühlt es sich für viele Menschen mit Komplextrauma wie eine unüberwindbare Hürde an.

Wie soll Vertrauen möglich sein, wenn genau das früher nicht sicher war? Wie kann Nähe gut tun, wenn sie früher oft mit Schmerz verbunden war?

Der erste Schritt ist zu verstehen: Du bist nicht „kaputt“. Dein Nervensystem hat sich über Jahre hinweg so eingestellt, dass es dich schützt – auch dann, wenn keine akute Gefahr mehr besteht.

Die Angst vor Nähe, das Misstrauen, die emotionale Taubheit oder die unbewusste Wiederholung toxischer Muster sind keine Charakterschwächen, sondern erlernte Überlebensstrategien. Und genau deshalb können sie auch verändert werden.

Heilung bedeutet nicht, dass die Vergangenheit „verschwindet“ – sondern dass sie dich nicht mehr bestimmt. Sie passiert nicht über Nacht, sondern in vielen kleinen Schritten. In Momenten, in denen du erkennst, dass du heute andere Entscheidungen treffen kannst als damals.

In Begegnungen, in denen du langsam lernst, dass sichere Bindung möglich ist. Und in der bewussten Entscheidung, dich nicht mehr von deinen Wunden leben zu lassen.

💡 Wichtig: Komplextrauma hat dir beigebracht, dass du allein klarkommen musst. Heilung zeigt dir, dass du es nicht musst.

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Hat dir der Beitrag gefallen? Dann teile ihn. Emotionale Souveränität ist heute kein Luxus mehr – sie ist essenziell. Je mehr Menschen innere Klarheit und Stabilität entwickeln, desto weniger Konflikte, Missverständnisse und unnötiges Drama gibt es in der Welt.

Komplexe Traumatisierungen und die Rückkehr zu dir selbst

Viele von uns haben gelernt, sich anzupassen, zu funktionieren, weiterzumachen – egal, was es gekostet hat. Die Wunden, die dabei entstanden sind, waren oft nicht sichtbar.

Doch sie haben sich tief eingeprägt: in das eigene Selbstbild, in Beziehungen, in das Gefühl, in dieser Welt einen Platz zu haben.

Heilung bedeutet nicht, zu werden, „wer du früher warst“ – sondern zu entdecken, wer du jenseits deiner alten Überlebensmuster wirklich bist.

💡 Wir waren nie wirklich verloren – wir haben nur vergessen, wie es sich anfühlt, ganz bei uns selbst zu sein.

Und genau das ist der Weg. Nicht der Kampf gegen die Vergangenheit, sondern die Rückkehr zu dem Teil von uns, der immer noch da ist – unter all den Schutzmechanismen, den Ängsten, den Prägungen.

Raus aus toxischen Beziehungsmustern - zurück zu dir!

Du hast mehr Einfluss, als du glaubst. Wenn du spürst, dass es so nicht weitergehen kann und dich danach sehnst, wieder ganz bei dir selbst anzukommen, lass uns reden.

Seit über 13 Jahren begleite ich Menschen dabei, sich aus toxischen Beziehungen zu befreien und zurück zu sich selbst zu finden.

Meine Methode verbindet die effektivsten Ansätze aus Coaching, Persönlichkeitsentwicklung, buddhistischer und allgemeiner Psychotherapie, Taoismus, Stoizismus und Resilienzforschung.

Wenn du diesen Weg selbst gehen möchtest, freue ich mich darauf, dich kennenzulernen.

Andreas

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