Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist nicht nur für die Betroffenen selbst eine enorme Belastung, sondern auch für Angehörige, Partner und Therapeuten eine große Herausforderung.
Wenn du selbst oder jemand in deinem Umfeld an Borderline erkrankt ist, ist der erste Schritt, sich umfassend darüber zu informieren. Dieser Artikel gibt dir eine solide Basis – und zeigt dir, wo du weiterführende Hilfe finden kannst.
Definition: Was ist eine Borderline-Persönlichkeitsstörung?
Borderline beschreibt eine schwerwiegende Persönlichkeitsstörung mit ausgeprägter emotionaler Instabilität, gestörtem Selbstbild und Ich-Erleben, Impulsivität und großen Problemen in zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Betroffenen sind innerlich hin und hergerissen zwischen ihrem Wunsch, geliebt zu werden und ihrem schwankenden Gefühl, nicht liebenswert zu sein. Zu den Symptomen gehören u.a. Selbstverletzungen zum Abbau innerer Spannungen, Hochrisikoverhalten, sowie Drogenmissbrauch.
Borderliner leben in Extremen – ihr Denken pendelt häufig zwischen "nur gut" und "nur schlecht". Besonders betroffen ist die Wahrnehmung ihrer Mitmenschen:
Heute Idealbild, morgen Enttäuschung – eine Kleinigkeit kann genügen, um jemanden vom Thron zu stoßen. Zwischentöne fehlen, ihr Denken schwingt zwischen den Polen hin und her. Im Raum dazwischen halten sie sich nur selten auf.
Diese innere Zerrissenheit erzeugt eine so starke Anspannung, dass Borderline-Erkrankte zu allen Mitteln greifen, um sie zu lindern.
Zu den häufigsten gehören Selbstverletzungen wie das Ritzen der Haut, Risikoverhalten wie das Balancieren auf Brückengeländern oder Drogenmissbrauch.
Ihre tiefe Angst vor Verlassenwerden und Ablehnung führt oft dazu, dass sie das Verhalten ihrer Mitmenschen verzerrt wahrnehmen und fehlinterpretieren. Wird ihre Verlustangst dadurch aktiviert, reagieren sie impulsiv oder sogar feindselig – was ihre Beziehungen stark belastet.
Was bedeutet Borderline?
Borderline bedeutet Grenzlinie. Der Begriff geht auf den Psychiater Charles H. Hughes (1884) zurück, der mit "borderland" psychische Auffälligkeiten im Grenzbereich zwischen Gesundheit und psychischer Krankheit beschrieb.
1938 wurden dann von Adolph Stern die meisten der heute als Borderline-Persönlichkeitsstörung bekannten Symptome in der so genannten "border line group" zusammengefasst.
Im Denken der zu dieser Zeit sehr populären und durch Sigmund Freud und andere geprägten Psychoanalyse, wurden damit psychische Erkrankungen auf der Grenzlinie zwischen Neurose (erhaltener Realitätsbezug, verstehbar, einfühlbar, behandelbar) und Psychose (fehlender Realitätsbezug, bedingt bis gar nicht verstehbar, kaum bis gar nicht einfühlbar, kaum bis gar nicht behandelbar) beschrieben.
Der Pschyrembel definiert die Borderline-Persönlichkeitsstörung als:

Borderline-Definition
"Spezifische Persönlichkeitsstörung, die durch ein instabiles Selbstbild sowie eine gestörte Affektregulation mit rasch auftretenden Anspannungszuständen gekennzeichnet ist. Die Diagnose erfolgt anhand von strukturierten klinischen Interviews, die Behandlung überwiegend psychotherapeutisch. Selbstschädigendes und suizidales Verhalten verkomplizieren die Therapie. Chronische Verläufe sind häufig."
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) zählt zu den so genannten Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen. Hierzu gehören neben der Borderline-Störung auch die:
Unter dem Cluster B werden im amerikanischen Diagnosemanual DSM-V Persönlichkeitsstörungen zusammengefasst, die durch emotionale Instabilität, Impulsivität und unkontrollierbare Wut gekennzeichnet sind.
Menschen mit einer Cluster-B-Persönlichkeitsstörung haben häufig große Schwierigkeiten in ihren Beziehungen – besonders in Bezug auf Nähe und Distanz. Zusätzlich sind bei diesen Störungen oft das Selbstbild und das Selbstwertgefühl stark beeinträchtigt.
Diagnose und Klinik der Borderline-Störung
Ich orientiere mich hier an den Kriterien des DSM-V, dem in den USA verwendeten Diagnosemanual. Es beschreibt das Erscheinungsbild der Borderline-Persönlichkeitsstörung detaillierter und ausführlicher als die in Deutschland noch gebräuchliche ICD-10-GM.
Die wesentlichen Kriterien unterscheiden sich jedoch nicht – denn letztlich geht es um dasselbe Störungsbild. (Zum Ausklappen auf die drei Punkte rechts klicken.)
Ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter, und das Muster zeigt sich in verschiedenen Situationen. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:
- 1Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden. (Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.)
- 2Ein Muster instabiler und intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.
- 3Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung.
- 4Impulsivität in mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen (Geldausgeben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, "Essanfälle"). (Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.)
- 5Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder -drohungen oder Selbstverletzungsverhalten.
- 6Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung (z. B. hochgradige episodische Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern).
- 7Chronische Gefühle von Leere.
- 8Unangemessene heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren (z. B. häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen).
- 9Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome.
Zwei Formen: Impulsiver Typus und Borderline-Störung
Im Diagnoseschlüssel der WHO, der auch in Deutschland gilt, wird die Borderline-Persönlichkeitsstörung unter dem Begriff der "Emotional instabilen Persönlichkeitsstörung" abgelegt, wobei hier zwei Typen unterschieden werden.
Ein "Impulsiver Typus" und die eigentliche Borderline-Erkrankung, als "Emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ".
Hier findest du die Diagnosekriterien nach ICD 10-GM: Kapitel F60.31 Emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ.
Wie häufig sind Borderline-Störungen?
Anteil Borderliner an Gesamtbevölkerung der BRD
Borderline in Zahlen
Geschlechterverteilung Borderline-Erkrankter
Frauenanteil stationär behandelter Borderliner
Anteil aller stationären Patienten in der BRD
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist relativ häufig – man geht davon aus, dass etwa 3 % der Bevölkerung betroffen sind. Das entspricht allein in Deutschland rund 2,5 Millionen Menschen.
Zur Verteilung zwischen Männern und Frauen gibt es unterschiedliche Zahlen. Wahrscheinlich sind beide Geschlechter etwa gleich häufig betroffen.
Auffällig ist jedoch, dass rund 75 % der stationär behandelten Borderline-Patienten Frauen sind.
Etwa 20 % der Patienten in ambulanten psychiatrischen Einrichtungen in Deutschland haben eine Borderline-Diagnose.
In den meisten Fällen sind sie dort wegen ihrer Borderline-Erkrankung – manchmal aber auch wegen anderer psychischer Leiden, denn Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) sind bei Borderlinern häufig.
Wie zeigt sich eine Borderline-Persönlichkeitsstörung?
Wie alle Persönlichkeitsstörungen kann auch die Borderline-Persönlichkeitsstörung sehr unterschiedlich ausgeprägt sein.
Schweregrad und Erscheinungsform variieren – nicht nur von Person zu Person, sondern auch im Laufe des Lebens.
- Nicht jeder Borderliner zeigt alle Symptome.
- Die Ausprägung kann stark variieren.
Die folgende Liste fasst einige der häufigsten Symptome zusammen.
Darunter findest du detailliertere Beschreibungen sowie weitere Symptome, die zum Borderline-Spektrum gehören – aber nicht zwingend bei jedem auftreten.
Doch vorher habe ich noch:
Eine Bitte an dich: Die Informationen auf dieser Seite sind nicht dazu gedacht, dich selbst oder andere zu "diagnostizieren" – das bleibt speziell ausgebildeten Fachkräften wie klinischen Psychologen und Psychiatern vorbehalten. Eine Diagnose hätte ohnehin wenig Nutzen für den Alltag. Die hier angebotenen Informationen sollen Hinweise geben, um Situationen besser einzuordnen und angemessen zu reagieren. Falls du den Verdacht hast, dass jemand in deinem Umfeld an einer Borderline-Störung oder an Narzissmus leidet, dann sieh es bitte nicht als feststehende Diagnose – sondern als eine mögliche "Arbeitshypothese". Vielen Dank!
Störung der Gefühlsregulation
Borderliner haben große Schwierigkeiten, ihre Emotionen zu regulieren. Ihre Gefühle sind oft extrem und sprunghaft, sie erleben sich selbst als Opfer ihrer Stimmungsschwankungen.
Oft genügt schon eine Kleinigkeit – und ihre Stimmung kippt.
Die meisten Betroffenen haben eine dysphorische Grundstimmung – eine Art inneres Ungleichgewicht, von dem ihre emotionalen Schwankungen ausgehen und zu dem sie immer wieder zurückkehren.
Diese ständige innere Zerrissenheit führt zu enormer Anspannung.
Für Partner und Angehörige von Borderlinern wird diese emotionale Achterbahnfahrt oft zur eigenen Realität. In dem ständigen Versuch, den schwankenden Gefühlszuständen des Borderliners gerecht zu werden, verlieren viele den Kontakt zu ihrer eigenen inneren Stimme.
Diese schleichende Selbstentfremdung – nicht der Borderliner selbst – ist das eigentliche Problem. Mit jeder überschrittenen persönlichen Grenze, mit jedem ignorierten Bauchgefühl schwindet die Verbindung zum eigenen Selbst.
Der Weg zurück beginnt mit der Erkenntnis, dass deine Wahrnehmung und deine Gefühle gültig sind - auch wenn der Borderliner in deinem Leben sie in Frage stellt.
Starke innere Anspannung
Borderliner erleben fast durchgehend innere Anspannungszustände, die in ihrer Intensität und Häufigkeit stark schwanken.
Diese Spannungsspitzen halten oft nur wenige Stunden, sind jedoch extrem kräftezehrend – nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für ihr Umfeld.
Hier siehst du zwei Charts, die auf den Selbsteinschätzungen einer Borderline-Patientin während einer ambulanten Psychotherapie und einer gesunden Vergleichsperson basieren.
Sie dokumentieren eindrücklich, wie unterschiedlich die Intensität und der Wechsel der Anspannung ausfallen.
Die Borderline-Patientin zeigt häufige Ausschläge bis zum Maximalwert von 10. Innerhalb weniger Stunden schwankt ihre Anspannung teils um bis zu 7 Punkte – ein extremes Auf und Ab.
Dagegen erreicht die gesunde Vergleichsperson maximal einen Wert von 3, mit der größten Schwankung zwischen zwei Punkten ebenfalls bei 3.
Insgesamt bleiben ihre Werte fast durchgängig zwischen 0 und 2 – ein völlig normales und gesundes Spannungsniveau.
(Grafik: angelehnt an Bohus & Reicherzer 2020*2)
Mangelhafte Impulskontrolle und emotionale Instabilität
Durch ihre Schwierigkeiten, Emotionen zu regulieren, stehen Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung unter starker innerer Anspannung – die sie irgendwie loswerden müssen.
Ein häufiges Ventil ist Wut.
Diese kann sich gegen sich selbst, gegen Gegenstände – oder gegen andere Menschen richten.
Besonders betroffen sind oft diejenigen, die ihnen am wichtigsten sind. Denn Borderliner haben enorme Verlustängste und leben in der ständigen Befürchtung, verlassen oder abgewiesen zu werden.
Sie beobachten ihre Mitmenschen permanent auf Anzeichen, die auf eine mögliche Zurückweisung hindeuten könnten.
- Emotionale Kurzschlussreaktionen sind typisch. Schon Kleinigkeiten können sie aus der Fassung bringen.
- Frustrationstoleranz? Leider auch kaum vorhanden.
Hinter dieser Wut und Instabilität steckt oft ein tiefer Selbstzweifel. Die Aggression dient als Abwehrmechanismus gegen innere Ängste und Ohnmachtsgefühle.
Diese ständige emotionale Achterbahnfahrt zeigt sich nicht nur in ihren Beziehungen, sondern zieht sich durch alle Lebensbereiche:
- Berufsleben
- Wechselnde Wohnorte
- Chaotische Beziehungshistorien
- Sogar die sexuelle Orientierung kann schwanken
Kein Wunder, dass diese Impulsivität und Instabilität Beziehungen massiv belasten. Viele Menschen haben große Schwierigkeiten, mit diesem Verhalten zurechtzukommen.
💡 Und viele stellen sich irgendwann die berechtigte Frage: Warum tue ich mir das eigentlich an? Besonders dann, wenn kein familiäres Band besteht.
Selbstverletzendes Verhalten zum Spannungsabbau oder um sich selbst zu spüren
Selbstverletzungen sind ein typisches Merkmal der Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Sie dienen dazu, innere Spannungen abzubauen, indem der Fokus auf den physischen Schmerz gelenkt wird – zum Beispiel durch das Ritzen der Haut mit einer Rasierklinge, bis Blut fließt.
- Viele Borderliner haben ein gestörtes Schmerzempfinden.
- Die Selbstverletzungen werden oft als erleichternd empfunden.
- Dadurch kann sich eine suchtartige Wiederholung entwickeln.
Doch Selbstverletzung ist nicht der einzige Weg, um Spannungen abzubauen.
Viele Borderliner greifen auf Hochrisikoverhalten zurück – Verhaltensweisen, die stark ablenken und durch einen Adrenalin- und Dopaminrausch kurzfristig Erleichterung bringen.
Typische Beispiele:
- Riskantes Autofahren oder Motorradfahren
- Balancieren auf Brückengeländern oder in großen Höhen
- Extremsportarten
- Promiskuität & riskanter, ungeschützter Sex mit extremen Praktiken
- Drogenmissbrauch & Suchtverhalten (Shoppingsucht, Spielsucht, Sexsucht etc.)
⚠️ Unbeabsichtigte Todesfälle:
Manchmal endet dieses Verhalten tödlich – nicht immer durch eine bewusste Suizidabsicht, sondern durch außer Kontrolle geratene Blutungen, schwere Unfälle oder Stürze aus großer Höhe.
💡 In vielen Fällen geht es Borderlinern dabei nicht um Selbsttötung, sondern um den verzweifelten Versuch, sich wieder selbst zu spüren, die innere Leere zu durchbrechen oder eine Dissoziation zu beenden - was somit einem Lebensimpuls und keinem Todeswunsch entspringt.
Selbstbild- und Selbstwertstörung
Borderline-Erkrankte leiden oft unter einer tiefen Identitätsstörung. Ihr Selbstbild ist instabil, scheinbar ohne gefestigten Kern.
Dieses innere Schwanken geht oft mit einem quälenden Gefühl der Leere einher. Ihre Selbstwahrnehmung kann sich schlagartig verändern:
Im einen Moment fühlen sie sich gut – im nächsten hassen sie sich selbst.
Alles im Wandel:
Ziele, berufliche Pläne, Studien- oder Ausbildungsplätze, politische oder religiöse Ansichten, Wertvorstellungen, Essgewohnheiten, Weltanschauungen oder sogar die sexuelle Orientierung können sich innerhalb kürzester Zeit radikal ändern.
Manchmal kehren Borderliner später zu ihren ursprünglichen Überzeugungen zurück – manchmal aber auch nicht.
Instabilität als Lebensprinzip
Ein bezeichnendes Merkmal der Borderline-Persönlichkeitsstörung ist die Neigung zur Destabilisierung. Wenn in einem Bereich ihres Lebens etwas schiefläuft, zieht das oft eine Kettenreaktion des Chaos nach sich.
- Wird einem Borderliner gekündigt, verlässt er womöglich gleich seine Familie und startet ein völlig neues Leben.
- Wird eine Borderlinerin von ihrem Freund verlassen, wirft sie vielleicht auch ihre gesamte Ausbildung hin.
Radikale Neuanfänge & das alte Muster
Hinter diesen impulsiven Entscheidungen steckt oft eine selbstzerstörerische Dynamik, aber auch die Sehnsucht nach einem kompletten Neuanfang.
Sie brechen alle Brücken ab, kehren ihrem bisherigen Leben den Rücken – in der Hoffnung, dass ein „Neustart“ endlich alles verändert. Doch oft nehmen sie dabei ihre alten Muster mit, sodass sie von ihren Problemen immer wieder „verfolgt“ werden.
💡 Viele Borderliner wissen kaum, wer sie wirklich sind. Manche können nicht einmal sagen, was sie mögen – nur, was sie nicht ausstehen können.
Emotionskurve gleicht einer Achterbahn
Die Emotionskurve eines Borderliners gleicht einem Ritt auf einem Rodeobullen. Innerhalb eines Tages können sie zwischen Wut, Verzweiflung, Überforderung, Hass, Verliebtheit, Freude, Angst, Überschwang und depressiven Verstimmungen hin- und herpendeln.
Typisch für Borderline: Diese Gefühlszustände halten meist nur für kurze Zeit an – deutlich kürzer als bei anderen psychischen Erkrankungen. Ein Beispiel:
- Eine depressive Episode bei einer Borderlinerin dauert oft nur Stunden oder wenige Tage.
- Bei einer „klassischen“ Depression (major depressive disorder) hält sie hingegen mindestens zwei Wochen – oft sogar Monate oder Jahre.
Emotionale Ausbrüche haben oft Folgen.
Nach heftigen Gefühlsausbrüchen bleiben häufig innere Anspannung und Schuldgefühle zurück. Dieser stetige Druck im Kessel erhöht das Risiko für Rückfälle – ein Teufelskreis aus emotionalen Extremen und Selbstvorwürfen.
Probleme in Beziehungen
Borderliner schwanken in Beziehungen ständig zwischen Idealisierung und Abwertung. Für sie ist ein Mensch entweder "nur gut" oder "nur schlecht" – dazwischen gibt es kaum etwas.
Rational wissen sie, dass niemand nur perfekte oder nur schlechte Eigenschaften hat. Doch sobald ihre Ängste getriggert werden oder sie von der Hoffnung auf Liebe und Zuwendung getrieben sind, verschwinden alle Zwischentöne aus ihrer Wahrnehmung.
Sekundenschnelle Stimmungswechsel
Die Emotionen von Borderlinern können binnen Sekunden kippen – und mit ihnen ihre gesamte Beziehung zum Gegenüber. Deshalb sind viele ihrer Beziehungen genauso instabil wie ihr inneres Gefühlsleben.
- Im Berufsleben ecken sie oft an, weil sie ihre Emotionen nur schwer kontrollieren können.
- Partnerschaften gleichen oft einem ständigen Kampf.
Hinter den meisten Wutausbrüchen steckt letztlich eine tiefe Angst: die Furcht vor Zurückweisung und Verlassenwerden.
Während du versuchst, die Gefühle des Borderliners zu verstehen und zu stabilisieren, gerätst du oft in eine paradoxe Situation: Je mehr du dich anpasst und deine eigenen Bedürfnisse zurückstellst, desto mehr verlierst du den Zugang zu deinem authentischen Selbst.
Diese Selbstaufgabe ist nicht der Weg zur Heilung der Beziehung, sondern führt langfristig zu tieferer Erschöpfung und Entfremdung.
Der Schlüssel liegt nicht darin, den Borderliner zu ändern, sondern in der behutsamen Rückkehr zu deiner eigenen inneren Klarheit.
Mit jedem Moment, in dem du wieder auf deine eigene Wahrnehmung vertraust, gewinnst du ein Stück deiner emotionalen Souveränität zurück.
Permanente Verlustangst führt zu belastendem Misstrauen und fehlenden Grenzen
Verlustangst & fehlende Identität – eine gefährliche Kombination
Borderliner haben oft nur ein schwach ausgeprägtes Gefühl für ihre eigene Identität.
In Beziehungen führt das dazu, dass sie fast alles erdulden, nur um zu verhindern, dass ihr Partner sie verlässt – besonders wenn Schuldgefühle die Angst verstärken, dass der andere es nicht mehr lange mit ihnen aushält.
Ein Teufelskreis aus Unterwerfung & Wut
Je stärker sie sich aus Verlustangst unterwerfen, desto heftiger fällt später die wütende Gegenreaktion aus. Denn die unterdrückten Emotionen brechen sich irgendwann Bahn.
- Die Wut führt zu einer Überreaktion.
- Das Wissen um die eigene Überreaktion triggert erneut Verlustangst & Schuldgefühle.
Hohe Erwartungen an den Partner
Borderliner erwarten oft, dass ihre Partner sie jederzeit verstehen und sich perfekt auf ihre Stimmungen einstellen. Doch das ist für kaum jemanden erfüllbar – was zu Enttäuschung, Konflikten und noch mehr Instabilität führt.
Abhängigkeit von äußerer Regulierung
Borderliner sind stark darauf angewiesen, dass ihr Umfeld ihnen hilft, ihre Stimmungen zu regulieren. Werden ihre Beziehungsbedürfnisse nicht erfüllt, kippt ihre Stimmung oft binnen Sekunden – denn in sich selbst finden sie kein stabiles Fundament.
Verzerrte Wahrnehmung der Verhaltensweisen und Absichten anderer
Verlustangst als permanenter Scanner
Borderliner sind wie ein Radargerät, das unaufhörlich das Verhalten ihrer Mitmenschen auf Anzeichen von Ablehnung oder Verlassenwerden abscannt. Selbst kleinste Auffälligkeiten können als Beweis für eine drohende Zurückweisung gewertet werden.
Misstrauen & Fehlinterpretationen
Oft interpretieren sie in harmlose Situationen böse Absichten hinein. Sie unterstellen anderen Dinge, die sie am meisten fürchten – nicht, weil sie real sind, sondern weil sie sich in ihrer Angst absolut plausibel anfühlen.
Das Problem? Mit der Zeit führt dieses enorme Misstrauen dazu, dass ihre Partner sich tatsächlich zurückziehen, weil sie die ständigen Unterstellungen und Unsicherheiten nicht mehr ertragen.
- Für den Borderliner bestätigt sich dann genau das, wovor er sich am meisten gefürchtet hat.
- Das Misstrauen wächst weiter, die Ängste verstärken sich – ein weiterer typischer Teufelskreis.
Borderliner haben eine enorme Unsicherheit in ihrem Beziehungsbedürfnis nach Vergewisserung:
Dissoziation – zwischen Schutzmechanismus und Trance
Dissoziation kann sowohl in einer tiefen Trance auftreten – etwa durch Hypnose – als auch ein Schutzmechanismus der Psyche sein.
Sie ermöglicht es, traumatische Erlebnisse abzuspalten, sodass die Situation nicht mehr bewusst wahrgenommen wird.
Betroffene beschreiben es oft so, als würden sie durch eine dicke Glasscheibe auf sich selbst blicken – unbeteiligt, wie ein Zuschauer.
Warum Dissoziation bei Borderline so häufig ist
Da viele Borderliner traumatische Erfahrungen gemacht haben, tritt Dissoziation bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung besonders häufig auf.
- Bestimmte Trigger – also Reize, die mit dem erlebten Trauma verknüpft sind – können in der Gegenwart eine erneute Dissoziation auslösen.
- Während der Dissoziation wirkt es, als würde sich die betroffene Person aus der Realität "herausbeamen".
- Oft bleiben danach Erinnerungslücken für die Zeit des Zustands zurück.
Dissoziation kann sich auch körperlich äußern:
Erlebt ein Borderliner eine starke Dissoziation, kann er oft nicht mehr sprechen oder sich koordiniert bewegen.
Diese Zustände werden als bedrohlich und unangenehm empfunden – weshalb viele Betroffene zu Selbstverletzung greifen, um sich wieder zu spüren und in ihren Körper zurückzukehren.
Derealisation / Depersonalisation
Auch Derealisation und Depersonalisation gehören zu den dissoziativen Zuständen und treten bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung besonders häufig auf.
- Derealisation: Die Umgebung wirkt fremdartig, unwirklich oder verändert – als wäre sie nicht mehr real.
- Depersonalisation: Betroffene fühlen sich von sich selbst entfremdet. Ihre Gedanken und Gefühle scheinen nicht zu ihnen zu gehören, ihr eigenes Erleben fühlt sich losgelöst und fern an.
💡 Beide Zustände können das Gefühl verstärken, nicht mehr „wirklich da“ zu sein – was für viele Borderliner extrem beängstigend ist.
Innere Leere und Stimulationshunger
Borderliner erleben nicht nur extreme Anspannung, sondern auch eine tiefe innere Leere. In diesen Momenten wissen sie oft nicht, wer sie sind oder was sie ausmacht. Deshalb zählt die Borderline-Persönlichkeitsstörung auch zu den „Ich-Störungen“ oder „Identitäts-Störungen“.
Schnelle Langeweile & Stimulationshunger
Diese innere Leere führt dazu, dass Borderliner sich sehr schnell langweilen und große Schwierigkeiten haben, sich längere Zeit auf eine Tätigkeit zu konzentrieren.
Die Folge: Ein ständiger Hunger nach Reiz & Stimulation, der oft durch unproduktive oder selbstschädigende Verhaltensweisen gestillt wird – insbesondere durch Süchte aller Art.
- Drogen- & Alkoholmissbrauch
- (Computer-)Spielsucht
- Sportsucht & extreme Grenzüberschreitungen
Viele Borderliner treiben nicht nur gefährliche Extremsportarten, sondern gehen auch bei „gewöhnlichen“ Sportarten weit über ihre körperlichen Grenzen hinaus.
Schätzungen zufolge befinden sich unter Triathleten und Freeclimbern überdurchschnittlich viele Borderline-Erkrankte.
Hochrisikoverhalten und Kriminalität
Durch ihren Stimulationshunger, die fehlende Impulskontrolle und plötzliche Wutausbrüche geraten viele Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung früher oder später in Konflikt mit dem Gesetz – manche immer wieder.
Die Palette der Delikte reicht von:
- Chronischem Schulschwänzen
- Diebstahl & Drogendelikten
- Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss – oft ohne Führerschein
- Gewalttaten, die meist im Affekt geschehen
💡 Besonders impulsive Grenzüberschreitungen sind typisch für Borderline – oft ohne langfristige
Suizid, Suizidversuche und Parasuizid bei Borderlinern
Viele Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung landen im Laufe ihres Lebens zeitweise in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung. In akuten Krisen müssen sie mit Fixierung und Sedierung daran gehindert werden, sich das Leben zu nehmen.
Die Suizidrate unter Borderlinern ist alarmierend hoch und liegt bei 5–10 %. Besonders häufig geschehen Suizide zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr – eine erschreckende Zahl, die das tiefe seelische Leid der Betroffenen verdeutlicht.
Doch diese Statistik erfasst nur die "erfolgreichen" Suizidversuche. Etwa 60 % aller Borderliner haben mindestens einmal versucht, sich das Leben zu nehmen – einige sogar Dutzende Male.
Neben den vollzogenen Suizidversuchen kommt es häufig zu Parasuiziden: selbstschädigende Handlungen, die keine unmittelbare Tötungsabsicht verfolgen, aber dennoch lebensgefährlich sein können.
💡 Die hohe Suizidrate zeigt, wie tief die innere Verzweiflung vieler Borderline-Erkrankter ist – und wie dringend sie Hilfe brauchen.
Selbstverletzungen bei Borderlinern sind meist keine Suizidversuche
Selbstverletzungen bei Borderlinern werden oft fälschlicherweise als Suizidversuche interpretiert, ebenso wie Hochrisikoverhalten mit Todessehnsucht gleichgesetzt wird.
Doch in den meisten Fällen geht es nicht um den Wunsch zu sterben – Selbstverletzungen haben vielmehr eine funktionale Bedeutung.
Für viele Borderliner ist der Schmerz eine Möglichkeit, innere Anspannung abzubauen oder das Gefühl der tiefen Leere zu überdecken.
Manche nutzen ihn, um dissoziative Zustände zu durchbrechen, indem der körperliche Reiz sie wieder in den Moment zurückholt. Der Schmerz hilft ihnen, sich selbst wieder zu spüren.
Trotzdem können Hochrisikoverhalten wie das Balancieren auf Brückengeländern oder Selbstverletzungen, die außer Kontrolle geraten, tödlich enden.
Tragischerweise geschieht das oft ohne eigentliche Suizidabsicht – sondern als Folge einer impulsiven, nicht kalkulierbaren Eskalation.
💡 Diese Unterscheidung ist wichtig, um Selbstverletzungen nicht falsch zu interpretieren – und gleichzeitig die Gefahren ernst zu nehmen.
Suizidrisiko bei Borderlinern einschätzen
Einen wichtigen Anhaltspunkt zur Einschätzung des tatsächlichen Suizidrisikos bietet das präsuizidale Syndrom nach Erwin Ringel, das in drei Stadien unterteilt ist.
Doch egal, ob diese oder andere Modelle eine akute Gefahr nahelegen oder nicht – jede Suizidankündigung muss ernst genommen werden!
Natürlich gibt es Fälle, in denen Suizidandrohungen zur emotionalen Erpressung genutzt werden, was leider nicht nur bei Borderlinern vorkommt. Niemand muss sich durch solche Drohungen manipulieren lassen.
Dennoch kann es in akuten Fällen sinnvoll sein, psychiatrisch geschulte Fachkräfte einzuschalten – etwa einen Notarzt, die Telefonseelsorge oder den sozialpsychiatrischen Dienst.
👉 Eine Übersicht, wie du dich in einem akuten psychiatrischen Notfall verhalten solltest – sei es für dich selbst oder jemanden in deinem Umfeld – findest du hier.
Das präsuizidale Syndrom nach Ringel
- Einengung: Die Betroffenen ziehen sich immer weiter zurück – sowohl sozial als auch gedanklich. Gefühle von Ohnmacht und Überforderung engen ihr Denken ein, bis sich alles nur noch um den Suizid als scheinbare Lösung dreht. Diese gedankliche Beschäftigung kann sogar als entlastend empfunden werden.
- Aggressionshemmung / Aggressionsumkehr: Aggressionen, die sich eigentlich gegen andere richten, werden gegen die eigene Person gewendet.
- Suizidankündigung: Das letzte Stadium äußert sich durch detaillierte Suizidfantasien, oft begleitet von einer auffallenden Ruhe und Gefasstheit. Nicht immer wird der Suizid in dieser Phase angekündigt – aber wenn eine Person in scheinbar geklärtem Zustand plötzlich ruhig und gelassen wirkt, kann das ein sehr gefährliches Zeichen sein.
💡 Frühzeitige Warnsignale zu erkennen und richtig zu reagieren, kann Leben retten.
Häufige Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) bei Borderline
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung tritt fast immer gemeinsam mit weiteren psychischen Erkrankungen auf. Diese Begleiterkrankungen – auch Komorbiditäten genannt – sind bei Borderlinern eher die Regel als die Ausnahme.
💡 In der folgenden Tabelle findest du eine Übersicht darüber, wie häufig bestimmte psychische Störungen zusammen mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung auftreten.
Begleiterkrankung | Lebenszeitprävalenz |
---|---|
Depressive Störungen | 30 - 87 % |
Essstörungen | 29 - 35 % |
ADS / ADHS | bis 60 % |
PTBS | 46 - 56 % |
Substanzmissbrauch | 64 - 66 % |
Zwangsstörungen | 16 - 25 % |
soziale Phobien | 23 - 47 % |
Panikstörungen | 31 - 48 % |
*Die Angaben beruhen auf klinischen Studien mit stationären Patienten und wurden ursprünglich vom Theodor Wenzel Werk e.V. veröffentlicht.
Ursachen: Wie entstehen Borderline-Persönlichkeitsstörungen?
Trotz jahrzehntelanger Forschung lassen sich die genauen Ursachen der Borderline-Persönlichkeitsstörung bis heute nicht eindeutig bestimmen.
Wissenschaftler gehen davon aus, dass es nicht den einen Auslöser gibt – sondern ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren (multifaktorielle Genese).
Dabei treffen anlagebedingte Faktoren (genetische Disposition) auf bestimmte Umweltfaktoren – etwa ein destruktives psychologisches Klima in der Ursprungsfamilie oder frühkindliche Traumata.
Ist Borderline vererbbar?
Studien zeigen, dass die Veranlagung zur Borderline-Persönlichkeitsstörung zu etwa 50 % genetisch bedingt ist. Doch das bedeutet nicht, dass jeder mit dieser Erbanlage zwangsläufig erkrankt – es erhöht lediglich die Anfälligkeit, wenn weitere Risikofaktoren hinzukommen.
Zwillingstudien & genetische Faktoren
Vergleiche zwischen eineiigen und zweieiigen Zwillingen (Torgensen et al., 2000) zeigen, dass eineiige Zwillinge ein signifikant höheres Risiko für Borderline haben. Da sie identisches Erbgut teilen, belegt dies, dass eine genetische Komponente definitiv vorhanden ist.
Familiäre Häufung
Eine weitere Studie (Zanarini et al., 1988) ergab, dass 10–20 % der Eltern oder Geschwister von Borderlinern ebenfalls an der Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden oder gelitten haben. Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung liegt der Anteil der Erkrankten nur bei 2–3 %.
💡 Das bedeutet, dass das Risiko, an Borderline zu erkranken, um das 3- bis 10-Fache steigt, wenn bereits enge Familienmitglieder betroffen sind.
Traumatische Erfahrungen in der Kindheit
Ein Großteil der Borderline-Erkrankten hat in der Kindheit oder Jugend traumatische Erlebnisse erfahren. Diese können verschiedene Formen haben:
Viele Betroffene haben aktive Traumatisierungen erlebt – etwa körperliche oder seelische Gewalt sowie sexuellen Missbrauch. Eine Studie von Zanarini et al. (2002) ergab, dass über 50 % der Borderliner in ihrer Kindheit sexuell missbraucht wurden.
Doch auch Vernachlässigung kann traumatisieren. Nicht erlebte Fürsorge kann ebenso zerstörerisch wirken wie direkte Gewalt. Kinder, die emotional oder körperlich vernachlässigt wurden, entwickeln oft tiefe innere Wunden. Manche wuchsen in Umfeldern völliger Verwahrlosung auf – ohne Halt, ohne Unterstützung, ohne Vorbereitung auf das Leben.
Viele Borderliner mussten viel zu früh erwachsen werden. Statt kindlicher Geborgenheit wurden sie mit ihren Ängsten und Nöten allein gelassen oder mussten sich sogar um ihre Eltern kümmern, weil diese mit ihren eigenen Problemen überfordert waren.
💡 Die Bewältigungsstrategien, die sich daraus entwickeln, sind maladaptiv – sie helfen kurzfristig, verursachen aber langfristig hohe Folgekosten in vielen Lebensbereichen.
Wie solche frühen Erfahrungen zu einer Komplextraumatisierung führen können und warum die Psychologin Judith Hermann sie als mögliche Ursache einer Borderline-Störung ansieht, erfährst du hier:
➡ Komplextrauma (KTBS): Wie langanhaltende Belastungen unser Leben prägen – und wie Heilung möglich ist
Invalidierende Umgebung
Validierung bedeutet Wertschätzung. Das Gegenteil – Invalidierung – ist eine Entwertung der eigenen Gefühle und Wahrnehmungen.
Viele Borderliner haben früh erfahren, dass sie in ihrer eigenen Familie oder unter anderen Menschen „anders“ sind. Dieses Gefühl der Fremdheit führt oft zu tiefer Verunsicherung – sowohl bei ihnen selbst als auch in ihrem Umfeld.
- „Stell dich nicht so an.“
- „Ein Junge weint nicht.“
- „Du bist anstrengend.“
- „Reiß dich mal zusammen.“
- „Warum musst du immer so sein?“
Kinder, die solche Sätze hören, lernen, dass ihre Gefühle nicht in Ordnung oder unerwünscht sind. In manchen Familien war der Gefühlsausdruck verpönt, in anderen hatten die Eltern einfach keine Kraft oder Lust, sich damit auseinanderzusetzen.
Manche waren schlichtweg überfordert.
💡 Borderliner empfinden Emotionen oft sehr intensiv – schon bei kleinsten Auslösern. Doch statt Verständnis zu bekommen, wird ihnen oft unterstellt, sie würden übertreiben, simulieren oder sich nur in den Mittelpunkt drängen.
Invalidierung hat langfristige Folgen:
Wer in der Kindheit und Jugend immer wieder entwertet wurde, bekommt das Gefühl, mit ihm stimme etwas nicht.
Ihr Bedürfnis nach Bestätigung der eigenen Erfahrung wird systematisch verletzt – mit der Folge, dass viele Borderliner später sich selbst und ihrer eigenen Wahrnehmung misstrauen.
Nicht jeder Borderliner wurde misshandelt
Nicht alle Borderliner stammen aus misshandelnden Familien. Viele wachsen in „normal guten“ Familienverhältnissen auf – und fühlen sich trotzdem wie Aussätzige.
Das liegt daran, dass Borderline-Erkrankte Emotionen aufgrund der Beschaffenheit ihres Nervensystems besonders intensiv erleben.
Ihre hohen emotionalen Anforderungen an ihr Umfeld können dazu führen, dass sie sich unverstanden und fremd fühlen – selbst in liebevollen Familien.
Oft verstehen sie nicht einmal selbst, warum sie so sind, wie sie sind.
Warum diese Unterscheidung wichtig ist:
Eltern von Borderlinern dürfen nicht pauschal stigmatisiert werden. Es stimmt, dass viele Borderliner traumatische Erfahrungen gemacht haben. Doch das bedeutet nicht, dass jede betroffene Familie dysfunktional oder misshandelnd war.
Andernfalls würde man Eltern fälschlicherweise Taten unterstellen, die sie nie begangen haben.
Kein Victim-Blaming! Borderline ist keine bewusste Entscheidung – kein Betroffener hat sich diese Erkrankung ausgesucht. Doch was im Einflussbereich des Einzelnen liegt, ist die Verantwortung für den Umgang damit.
💡 Denn Schuld und Verantwortung sind zwei völlig verschiedene Dinge.
Hypersensibilität des Nervensystems
Borderliner empfinden Emotionen heftiger als der Durchschnittsmensch. Ihr Nervensystem reagiert besonders sensibel und fährt schnell hoch – doch wenn das einmal passiert ist, fällt es ihnen extrem schwer, sich wieder zu regulieren.
Der Prozess, sich selbst „herunterzubringen“, erfordert viel Zeit und große Anstrengung – und gelingt oft nur unzureichend.
Hier gibt es spannende Zusammenhänge mit der Säuglings- und Kleinkindforschung.
Der Psycho-Traumatologe Peter Levine weist darauf hin, dass unser Nervensystem in den ersten Lebensmonaten noch nicht vollständig entwickelt ist.
Ein Baby kann sich selbst in Erregung versetzen, um auf ungestillte Bedürfnisse aufmerksam zu machen – es hat jedoch noch keine Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen. Dafür benötigt es die Co-Regulation durch eine Bezugsperson, meist die Mutter.
Die beruhigende Mutter fungiert als eine Art „ausgelagertes Nervensystem“.
Indem sie ihr Baby beruhigt, übernimmt sie diese Funktion stellvertretend – solange, bis das Kind diese Fähigkeit selbst entwickelt hat.
Wenn dieser Prozess gestört ist…
… kann es dazu führen, dass Betroffene als Erwachsene zwar sehr schnell in emotionale Erregung geraten, sich aber nur schwer selbst regulieren können.
💡 Das bedeutet nicht, dass hier die alleinige Ursache für die Borderline-Persönlichkeitsstörung liegt. Doch die Parallelen sind auffällig – und ein spannender Ansatz für weitere Forschung.
Auffälligkeiten im Nervensystem von Borderlinern
Kein Gehirn gleicht dem anderen. Doch bei bestimmten psychischen Störungen, wie der Borderline-Persönlichkeitsstörung, lassen sich auffällige Veränderungen in Struktur und Funktion verschiedener Hirnregionen feststellen.
Die Amygdala – das emotionale Alarmsystem
Studien zeigen, dass die Amygdala bei Borderlinern durchschnittlich 13 % kleiner ist als bei gesunden Vergleichspersonen. Noch entscheidender ist jedoch ihre Überreaktivität: Eine Studie von Ruocco et al. (2012) ergab, dass die Amygdala von Borderlinern schneller und stärker auf Reize reagiert als üblich.
Das könnte erklären, warum sie eine so „kurze Zündschnur“ haben und auf Kleinigkeiten mit heftigen Emotionsausbrüchen reagieren – während andere unbeteiligt bleiben.
Das gestörte Gleichgewicht im Gehirn
In der gleichen Studie zeigte sich, dass bei Borderlinern nicht nur die Amygdala überaktiv, sondern auch der präfrontale Cortex
trägt und weniger aktiv ist.
- Warum ist das wichtig?
Die Amygdala fährt emotionale Reaktionen hoch. - Der präfrontale Cortex bremst und reguliert sie wieder.
Normalerweise befinden sich diese beiden Systeme in einem fein abgestimmten Wechselspiel. Bei Borderlinern ist dieses Gleichgewicht jedoch gestört: Die Amygdala feuert zu schnell und zu heftig, während der präfrontale Cortex sie nicht ausreichend dämpft.
Das Gehirn gibt also zu viel Gas – und vergisst das Bremsen.
Die Stressachse im Ausnahmezustand
Auch die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HHN-Achse), die unsere Stressreaktionen steuert, reagiert bei Borderlinern überempfindlich.
Eine Studie von Zimmermann & Choi-Kain (2009) zeigt, dass Borderliner schon bei kleinsten Anlässen in den Überlebensmodus schalten – und reflexartig mit einer der vier typischen Säugetier-Stressreaktionen reagieren:
👉 Fight (Kampf) – Flight (Flucht) – Freeze (Erstarren) – Fawn (Unterwerfung)
💡 Diese biologischen Besonderheiten könnten erklären, warum Borderliner emotional so intensiv reagieren und oft Schwierigkeiten haben, sich selbst wieder zu regulieren.
Die vier Säugetier-Reaktionen auf Gefahr sind:
- Kampf
- Flucht
- Erstarrung / Totstellreflex / Freezing
- sich kümmern und anschließen (tend and befriend / Fawn Reaction)
Fawn Reaction / Tend-and-befriend
Neben den bekannten Kampf-, Flucht- und Erstarrungsreaktionen gibt es eine vierte, weniger bekannte Überlebensstrategie: Tend and Befriend.
💡 Was bedeutet das?
In Gefahrensituationen, die ein Mensch oder Tier allein nicht bewältigen kann, wird bewusst der Kontakt zu anderen gesucht – meist zu einer Gruppe, die Schutz bieten könnte.
Die Betroffenen schließen sich an, übernehmen soziale stützende Rollen und stärken so ihre eigenen Überlebenschancen.
Trauma-Bonding als Sonderform von Tend and Befriend?
Es wird vermutet, dass auch Trauma-Bonding in toxischen Beziehungen eine besondere Ausprägung dieser Strategie sein könnte.
Dabei verbinden sich Betroffene nicht mit einer Gruppe, sondern direkt mit dem Aggressor – aus dem unbewussten Wunsch heraus, so ihre (emotionalen) Überlebenschancen zu erhöhen.
Nicht jeder Mensch oder jedes Tier kann in jeder Bedrohungslage mit den klassischen drei Stressreaktionen (Fight, Flight, Freeze) überleben:
- Kampf (Fight) macht nur Sinn, wenn man dem Gegner überlegen ist.
- Flucht (Flight) funktioniert nur, wenn eine realistische Möglichkeit zur Flucht besteht.
- Erstarrung (Freeze) kann hilfreich sein, wenn das Stillhalten die Bedrohung verringert – etwa wenn ein Tier sich totstellt und der Angreifer davon ablässt.
Doch was passiert, wenn all diese Reaktionen nicht funktionieren?
Hier kommt Tend and Befriend ins Spiel – eine soziale Überlebensstrategie, die oft genetisch bedingt ist.
Studien (Taylor et al., 2000) zeigen, dass besonders Frauen eher auf Tend and Befriend eingestellt sind – möglicherweise, weil Kampf oder Flucht während einer Schwangerschaft oder mit kleinen Kindern selten eine realistische Option ist.
💡 Doch auch Männer nutzen diese Strategie in bestimmten Situationen – besonders, wenn andere Reaktionen aussichtslos erscheinen.
Das biopsychosoziale Modell der Entstehung von Borderline
Neben einer genetischen Veranlagung zur emotionalen Sensibilität spielen vor allem enttäuschte Beziehungserwartungen und traumatische Erfahrungen in der Kindheit eine bedeutende Rolle bei der Entstehung der Borderline-Persönlichkeitsstörung.
💡 Im folgenden Schaubild werden die Ursachen, Folgen und Wechselwirkungen dieser Dynamik sichtbar.
Das tiefe Bedürfnis nach emotionaler Unterstützung
Durch ihre hohe Sensibilität haben viele Borderliner ein besonders starkes Bedürfnis nach emotionaler Nähe und Halt – insbesondere von ihrer Herkunftsfamilie und in Partnerschaften. Doch selbst in einem „normal guten“ Umfeld fühlen sie sich oft nicht genug unterstützt.
Das Problem:
- Ihr emotionales Bedürfnis ist so intensiv, dass normale Unterstützung oft nicht ausreicht.
- Das führt zu Enttäuschungen – selbst ohne bewusste Verletzungen durch andere.
Wie Borderliner mit diesen Enttäuschungen umgehen
Weil diese Erfahrungen emotional schmerzhaft und frustrierend sind, suchen Borderliner nach Erklärungen, die ihnen helfen, einen Sinn in diesen Erlebnissen zu finden.
💡 Für tatsächlich traumatische Erfahrungen gilt das umso mehr.
Das Verarbeiten dieser unerfüllten Beziehungserwartungen spielt eine zentrale Rolle in der Entwicklung und im späteren Umgang mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Gestörtes Selbstkonzept bei Borderlinern
Für Kinder ist es essenziell, nicht das Gefühl zu bekommen, in einer feindlichen, unkontrollierbaren Welt zu leben.
Um Ohnmachtsgefühle zu vermeiden, neigen wir deshalb dazu, bei frustrierenden oder traumatischen Erfahrungen eher uns selbst die Schuld zu geben.
Das gibt uns die Illusion von Kontrolle.
Wenn das Problem in uns selbst liegt, haben wir zumindest die Hoffnung, dass wir etwas daran ändern können – indem wir „besser“ werden, uns mehr anstrengen oder unsere „Fehler“ beheben.
So entgehen wir der Lähmung durch absolute Hilflosigkeit.
Das typische Selbstkonzept einer Borderlinerin
Diese Überzeugungen verankern sich tief und beeinflussen später nicht nur die Emotionsverarbeitung und das Selbstbild, sondern auch das Verhalten in zwischenmenschlichen Beziehungen.
Das typische Selbstkonzept von Borderlinern ist geprägt von:
- Scham: „Ich bin es nicht wert, gut behandelt oder geliebt zu werden.“
- Schuld: „Ich bin anders als die anderen, irgendwie nicht in Ordnung. Es liegt an mir, dass ich so viele Probleme habe.“
- Selbstverachtung: „Ich kann nichts, bin nichts und habe nichts zu geben. Ich bin ein Niemand.“
- Erwartung von Zurückweisung: „Keiner mag mich wirklich, niemand will mich um sich haben.“
- Misstrauen: „Ich kann anderen nicht vertrauen. Wenn ich mich öffne und zeige, wie ich bin, werde ich zurückgestoßen.“
💡 Warum Borderliner an diesen Annahmen festhalten
So destruktiv diese Überzeugungen auch sein mögen – sie haben Schutzfunktionen. Indem Borderliner ihre Erwartungen an andere tief halten, nehmen sie Enttäuschungen vorweg.
Das hilft, den Schmerz abzufedern, wenn es tatsächlich zu verletzenden Beziehungserfahrungen kommt.
(Grafik und erläuternder Text zum biopsychosozialen Modell der Entstehung von Borderline: vergleiche Bohus & Reicherzer 2020*3)
Borderline-Test
Es gibt verschiedene Testverfahren, um eine Borderline-Persönlichkeitsstörung festzustellen. Die meisten beruhen auf einem umfangreichen Interview und sollten ausschließlich von ausgebildeten Fachleuten wie klinischen Psychologen oder Psychiatern durchgeführt werden.
💡 Selbsteinschätzung ist möglich – aber keine Diagnose!
Zur Selbsteinschätzung können Selbstauskunftsbögen hilfreich sein. Besonders bewährt haben sich die Borderline-Symptome-Listen (BSL) von Bohus et al., die in verschiedenen Versionen verfügbar sind.
👉 Wichtig: Diese Tests können Hinweise geben, ersetzen aber keine professionelle Diagnose.
Hier kannst du die entsprechenden Listen zum Borderline-Selbsttest herunterladen:
Kurzversion (BSL-23): Borderline-Symptome-Liste 23
Langversion (BSL-95: Borderline-Symptom-Liste 95
Borderline-Persönlichkeitsstil vs. Borderline-Persönlichkeitsstörung
Persönlichkeitsstile sind bestimmte Muster im Denken, Fühlen und Verhalten, die sich klar beschreiben lassen.
Sie sind nicht pathologisch, können aber sowohl für die Betroffenen selbst als auch für ihr Umfeld herausfordernd sein.
Persönlichkeitsstile unterscheiden sich von Persönlichkeitsstörungen durch den Grad ihrer Ausprägung. Die Übergänge sind fließend – doch nicht jeder Persönlichkeitsstil entwickelt sich zwangsläufig zu einer Störung.
Man kann sie als „nicht pathologische Vorstufen“ betrachten – aber das bedeutet nicht, dass daraus später eine Persönlichkeitsstörung entstehen muss.
Sind Borderliner Psychopathen?
Es gibt auffällige Gemeinsamkeiten zwischen Borderlinern und den „sekundären Psychopathen“, die erstmals vom amerikanischen Psychiater Benjamin Karpmann beschrieben wurden.
Was unterscheidet sekundäre von primären Psychopathen?
Laut Karpmann sind sekundäre Psychopathen – also Borderliner – im Gegensatz zu primären Psychopathen bis zu einem gewissen Grad zu Empathie und Schuldgefühlen fähig, jedoch emotional hochgradig instabil.
💡 Diese Überschneidungen zeigen die Schwächen des bisherigen Konzepts der Persönlichkeitsstörungen.
Viele Experten – darunter der renommierte Narzissmus-Experte Sam Vaknin – plädieren seit Jahren dafür, das starre Modell der Persönlichkeitsstörungen durch ein flexibleres System zu ersetzen.
Die aktuelle Fassung der Klassifikation von Krankheiten der WHO (ICD-11) folgt dieser Entwicklung.
Obwohl sie offiziell auch für Deutschland gilt, wird sie hier bislang kaum angewendet – unter anderem, weil noch keine angepasste Übersetzung (ICD-11 GM = German Modification) vorliegt.
Therapie
Wer an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidet, braucht in den meisten Fällen eine Therapie – sei es aufgrund einer suizidalen Krise, weil das Leben sich nicht mehr organisieren lässt, oder weil soziale Probleme und heftige Stimmungsschwankungen den Alltag unerträglich machen.
Obwohl Borderline eine schwere psychische Erkrankung ist, gibt es bewährte therapeutische Ansätze, die – mit der richtigen Methode und erfahrenen Fachkräften – oft erstaunlich gute Ergebnisse erzielen. Doch kein Fall ist wie der andere.
Borderliner ist nicht gleich Borderliner, und unterschiedliche Lebenssituationen erfordern unterschiedliche Hilfsangebote.
Eine 16-jährige Borderlinerin, die von zuhause weggelaufen ist und ihre Drogensucht mit Ladendiebstählen finanziert, braucht eine völlig andere Unterstützung als ein 35-jähriger Borderliner, dessen unberechenbare Wutausbrüche immer wieder Probleme im Job und in Beziehungen verursachen.
Daher kann es sinnvoll sein, die Borderline-Persönlichkeitsstörung mit einer der bewährten „Haupttherapien“ anzugehen, während zusätzliche Symptome – etwa durch Begleiterkrankungen oder schädliche Bewältigungsstrategien – gezielt mit anderen Methoden behandelt werden.
In Deutschland gibt es grundsätzlich fünf verschiedene Behandlungssettings, die je nach individueller Situation und Bedarf kombiniert oder fließend ineinander übergehen können.
Behandlungs-Settings bei Borderline:
Zu den möglichen Behandlungs-Settings bei Borderline zählen:
- Ambulante Behandlung
- Stationäre Krisenintervention
- Stationäre Spezialbehandlung
- Teilstationäre Spezialbehandlung
- Betreuung in Wohngruppen
Für die meisten Fälle ist sicher die ambulante Therapie die am besten geeignete Behandlungsform.
Neben den verschiedenen Behandlungs-Settings gibt es verschiedene gängige Therapieverfahren bei Borderline, die in Deutschland angeboten werden und sich bewährt haben. Eine der wichtigsten darunter ist die Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT).
Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT)
Die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) wurde von Marsha Linehan entwickelt und später durch Martin Bohus in Deutschland eingeführt. Ein bemerkenswerter Aspekt dabei:
Marsha Linehan selbst litt an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung – ihre Therapie basiert also auf tiefem eigenen Verständnis für die Herausforderungen der Betroffenen.
Ein zentraler Bestandteil der DBT ist das Skills-Training, das Borderline-Erkrankten hilft, innere Anspannungs- und Stresszustände frühzeitig zu erkennen und gezielt zu regulieren.
Darüber hinaus bietet die DBT eine Vielzahl wirksamer Methoden, um an den unterschiedlichen Herausforderungen der Borderline-Problematik zu arbeiten.
Mit der Zeit lernen die Betroffenen, stressauslösende Situationen präventiv zu entschärfen, sodass selbstschädigende Verhaltensweisen wie Ritzen oder andere Formen der Spannungsreduktion zunehmend überflüssig werden.
Behandlungsstadien der DBT bei Borderline
Die DBT-Behandlung von Borderline-Patienten gliedert sich normalerweise in die Vorbereitung und 3 Behandlungsstadien*4:
Vorbereitung.
In der Vorbereitungsphase geht es um die genaue Diagnostik der zugrunde liegenden Borderline-Persönlichkeitsstörung und möglicher Begleit-Erkrankungen. Es werden gemeinsam Behandlungsziele festgelegt und die Patienten werden über ihre Krankheit und den Ablauf der DBT aufgeklärt. Meist wird auch ein Non-Suizid-Vertrag geschlossen.
Stadium I: Schwerwiegende Probleme im Handeln.
Im ersten Stadium der DBT bei Borderline geht es vor allem um die Behandlung lebensgefährlicher Verhaltensweisen wie Suizidversuche, schwere Selbstverletzungen, Hochrisikoverhalten und von krisenerzeugenden Verhaltensweisen, die das berufliche und soziale Leben des Borderline-Erkrankten immer wieder aus dem Gleichgewicht bringen.
Stadium II: Probleme des emotionalen Erlebens.
Im zweiten Stadium der DBT geht es darum, Verhaltensmuster zu verbessern, die den Fortschritt und die Nachhaltigkeit der Therapie gefährden. Hier werden auch die für Borderliner typischen emotionalen Probleme angegangen. dazu zählen u.a. schwerwiegende Gefühle der Einsamkeit, Verlustangst, Wut und Selbsthass.
Stadium III: Probleme der Sinnerfülltheit.
Im dritten Stadium der DBT werden Probleme der allgemeinen Lebensbejahung behandelt. Den Borderline-Erkrankten wird hier geholfen, unveränderbare belastende Aspekte ihres Lebens zu akzeptieren, soweit wie möglich Frieden mit der Vergangenheit zu schließen und sich selbst und den eigenen Schwächen gegenüber eine wohlwollende und akzeptierende Haltung einzunehmen.
Skills-Training
Skills sind hilfreiche Fertigkeiten, die Borderline-Erkrankten helfen, ihren Alltag besser zu bewältigen.
In der DBT (Dialektisch-Behavioralen Therapie) umfasst der Begriff vor allem effektive Handlungs- und Gedankenmuster, die dabei unterstützen, Probleme zu lösen, Krisen abzuschwächen oder sogar zu verhindern.
Sie helfen, überwältigende Emotionen zu regulieren und gesunde Alternativen zu selbstschädigendem Verhalten zu finden.
Das Skills-Training erfolgt meist in sogenannten "Skills-Gruppen", die in einem strukturierten Gruppensetting stattfinden.
Unter Anleitung eines Therapeuten oder eines speziell ausgebildeten DBT-Peer-Coaches lernen die Teilnehmer gemeinsam, sich gegenseitig zu unterstützen und zu motivieren.
Borderline-Trialog und DBT-Peer-Coaching
Ein besonders interessantes Konzept ist das Borderline-Trialog-Programm. Hierbei unterstützen ehemalige Borderline-Patienten, die eine DBT erfolgreich abgeschlossen haben und sich heute stabiler fühlen, andere Betroffene mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung.
Diese freiwilligen Helfer werden DBT-Peer-Coaches genannt. Ihre Funktion ähnelt in gewisser Weise den Sponsoren bei den Anonymen Alkoholikern:
Sie ersetzen keine Therapie, können aber eine wertvolle Begleitung und Unterstützung sein.
Das DBT-Peer-Coaching bringt viele Vorteile mit sich. Für viele Borderliner ist es leichter, sich (ehemals) selbst Betroffenen gegenüber zu öffnen, weil sie wissen, dass diese ihre Situation wirklich aus eigener Erfahrung kennen.
Darüber hinaus fungieren DBT-Peer-Coaches als Rollenvorbilder. Sie zeigen, dass Veränderung möglich ist – ein entscheidender Faktor, der vielen Borderline-Patienten Mut macht und die Therapiemotivation erhöht.
Wer sieht, dass jemand anderes den Weg bereits erfolgreich gegangen ist, schöpft oft neue Hoffnung für die eigene Reise.
Neben der DBT gibt es noch weitere bewährte Therapieverfahren für Borderline-Erkrankte. Dazu gehören unter anderem:
Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT)
Die Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) ist ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung, dessen Wirksamkeit in mehreren Studien nachgewiesen wurde.
Entwickelt wurde sie von Anthony Bateman und Peter Fonagy.
Das zentrale Ziel der MBT ist es, Borderline-Erkrankten zu helfen, sich selbst besser kennenzulernen und ihre Fähigkeit zur Einschätzung und Deutung von Emotionen, Absichten und Plänen anderer Menschen zu verbessern.
Besonders im zwischenmenschlichen Bereich soll die MBT helfen, Missverständnisse und Konflikte zu reduzieren. Durch mehr Erfolgserlebnisse und tragfähigere Beziehungen entwickeln Borderliner ein stärkeres Gefühl von Selbstwirksamkeit und mehr Stabilität im Alltag.
Auch die MBT wird häufig in Gruppensettings durchgeführt. Unter therapeutischer Anleitung unterstützen sich die Teilnehmer gegenseitig und lernen, ihre zwischenmenschlichen Schwierigkeiten durch gemeinsame Reflexion besser zu verstehen.
Schematherapie bzw. Schemafokussierte Therapie (SFT)
Die Schematherapie wurde von Jeffrey Young in Zusammenarbeit mit Janet S. Klosko und Marjorie E. Weishaar entwickelt.
Sie setzt gezielt bei den mentalen und emotionalen Erlebens-, Verarbeitungs- und Verhaltensmustern (Schemata) von Borderline-Erkrankten an – mit dem Ziel, ungünstige Wahrnehmungsmuster zu erkennen und zu verändern.
Dazu gehören tief verankerte Überzeugungen wie Verlustangst, das Gefühl unerfüllter kindlicher Grundbedürfnisse oder ein allgemeines Misstrauen gegenüber anderen.
Die Schematherapie hilft Betroffenen, einen besseren Zugang zu ihren "Erwachsenen-Ich-Anteilen" zu entwickeln. Mit der Zeit lernen sie, diese zu stärken und bewusster zu nutzen, um sich emotional stabiler und selbstbestimmter durchs Leben zu bewegen.
Übertragungsfokussierte Therapie (TFP)
Die Übertragungsfokussierte Therapie (TFP) wurde ursprünglich von Otto F. Kernberg entwickelt und basiert auf psychodynamischen Prinzipien.
Ihr zentraler Ansatz ist die Annahme, dass in der Therapie Übertragungsreaktionen zwischen Patient und Therapeut entstehen.
Das bedeutet, dass die Therapeutin oder der Therapeut zur Projektionsfläche für frühere Beziehungserfahrungen wird – oft für die Mutter oder den Vater des Borderline-Patienten.
Indem diese unbewussten Muster und inneren Konflikte im geschützten therapeutischen Rahmen „nachinszeniert“ und reflektiert werden, können sie dort auch bearbeitet und verändert werden.
Familientherapie
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist oft eng mit der Familiensituation verwoben.
Wie bereits im Abschnitt zur Entstehung der Erkrankung beschrieben, spielen frühkindliche Traumatisierungen, Beziehungsenttäuschungen oder familiäre Dysfunktionen häufig eine zentrale Rolle.
Doch selbst wenn keine Traumatisierungen vorliegen, bleibt die dynamische Wechselwirkung zwischen der Erkrankung und dem familiären Umfeld bestehen.
Die hohe emotionale Instabilität eines Borderliners beeinflusst zwangsläufig auch die anderen Familienmitglieder und kann zu erheblichen Belastungen führen.
Oft entstehen dabei soziale Teufelskreise, die das Zusammenleben in „Borderline-Familien“ erschweren – manchmal bis an die Grenze des Erträglichen. Genau hier setzt die Familientherapie an:
Sie hilft, Muster zu durchbrechen, Verständnis füreinander zu entwickeln und neue, konstruktive Wege im Miteinander zu finden.
Therapie der Begleiterkrankungen
Die Therapie der Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) der Borderliner hängt von der Art der entsprechenden Krankheit ab. Hier können alle Arten von Psychotherapie genauso zum Einsatz kommen, wie medizinische Behandlung oder Psychopharmaka.
Borderline-Eltern
Viele Borderliner machen sich große Sorgen, ob sie als Eltern versagen und ihren Kindern schaden könnten – besonders werdende Mütter mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Doch während es natürlich auch problematische Fälle gibt, zeigt die Erfahrung, dass die meisten Borderlinerinnen erstaunlich gute Mütter sind.
Trotz eigener emotionaler Herausforderungen gelingt es vielen, während der Schwangerschaft – und oft auch danach – auf Verhaltensweisen zu verzichten, die ihrem Kind schaden könnten.
Selbst in emotionalen Krisen setzen sie oft alles daran, die bestmögliche Mutter zu sein, die sie in ihrer Situation sein können. Viele verzichten ihrem Kind zuliebe sogar auf Zigaretten, Drogen oder Alkohol – auch wenn es ihnen selbst schwerfällt.
Problematischer ist häufig die Partnerwahl. Borderline-Mütter geraten oft in Beziehungen mit toxischen Partnern, die ihre ohnehin schon vorhandenen Ängste und Unsicherheiten verstärken.
Nicht selten handelt es sich um Narzissten oder Psychopathen – Männer, um die Frauen ohne Borderline-Problematik oft instinktiv einen Bogen machen würden.
Diese Partner bringen nicht nur Unruhe ins Familienleben, sondern triggern die Borderline-Mütter an ihren empfindlichsten Stellen, destabilisieren die Beziehung und erschweren eine sichere Elternschaft.
Für die Kinder sind sie meist weder ein geeignetes Vorbild noch eine verlässliche Vaterfigur.
Hilfe für Borderliner und Angehörige
Für Menschen, die an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden, gibt es heute vielseitige Hilfsangebote. Hier sind ein paar weiterführende Links für Betroffene und Angehörige.
Einige betreffen die Borderline-Therapie, andere den Austausch der Betroffenen oder Angehörigen untereinander.
👉 Die Welt wird immer dysregulierter - Setze ein Gegengewicht!
Hat dir der Beitrag gefallen? Dann teile ihn. Emotionale Souveränität ist heute kein Luxus mehr – sie ist essenziell. Je mehr Menschen innere Klarheit und Stabilität entwickeln, desto weniger Konflikte, Missverständnisse und unnötiges Drama gibt es in der Welt.
Schwierigkeiten in der Beziehung zu einem Borderliner?
Eine Beziehung mit einem Borderliner kann durchaus positive Aspekte haben. Viele Betroffene sind leidenschaftlich, intensiv und begeisterungsfähig.
In stabilen Phasen können sie sehr liebevolle Partner sein. Doch zugleich sind solche Beziehungen oft von starken Herausforderungen geprägt.
In der Beziehung zu einem Borderliner "verwandeln" viele Menschen sich selbst, um den unberechenbaren Bedürfnissen ihres Partners gerecht zu werden.
Diese schrittweise Anpassung mag kurzfristig für Ruhe sorgen, führt aber langfristig zu einer tiefgreifenden Entfremdung vom eigenen Selbst.
Die Transformation zurück zu emotionaler Freiheit beginnt nicht mit dem Verstehen oder Verändern des Borderliners, sondern mit der Entscheidung, die Verbindung zu dir selbst nicht länger zu opfern.
Wer diesen Weg beschreitet, entwickelt die Fähigkeit, aus toxischen Mustern auszusteigen und schmerzhafte Erfahrungen in wertvolle Selbsterkenntnis umzuwandeln – ein Prozess, der dich letztlich stärker und klarer zurücklässt, als je zuvor.
Besonders schwierig wird es in Partnerschaften, doch auch Freundschaften oder familiäre Beziehungen mit Borderlinern können belastend sein.
Während die meisten Hilfsangebote sich auf die Erkrankten konzentrieren, bleiben Angehörige, Freunde, Kollegen und besonders Partner oft auf sich allein gestellt.
Wenn du dich in einer toxischen Beziehung mit einem Borderliner oder einer Borderlinerin befindest, kann dir ein persönliches Coaching helfen, Klarheit zu gewinnen und dein inneres Gleichgewicht wiederzufinden.
Seit über dreizehn Jahren unterstütze ich Menschen in und nach toxischen Beziehungen mit Borderlinern, Narzissten, Histrionikern und Psychopathen dabei, die Folgen der Beziehung zu verarbeiten und wieder ganz bei sich selbst anzukommen.
💡 Bewirb dich jetzt auf einen freien Coachingplatz:
Raus aus toxischen Beziehungsmustern - zurück zu dir!
Du hast mehr Einfluss, als du glaubst. Wenn du spürst, dass es so nicht weitergehen kann und dich danach sehnst, wieder ganz bei dir selbst anzukommen, lass uns reden.
Literatur:
*1 Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5, Deutsche Ausgabe herausgegeben von Peter Falkai und Hans-Ulrich Wittchen, S. 908ff., Hogrefe GmbH & Co. KG, 2. korrigierte Auflage 2018
*2
Ratgeber Borderline-Störung – Informationen für Betroffene und Angehörige, Martin Bohus & Markus Reicherzer, Hogrefe GmbH & Co. KG, 2. Überarbeitete Auflage 2020
*3 Ratgeber Borderline-Störung – Informationen für Betroffene und Angehörige, Martin Bohus & Markus Reicherzer, S. 31ff., Hogrefe GmbH & Co. KG, 2. Überarbeitete Auflage 2020
*4 Ratgeber Borderline-Störung – Informationen für Betroffene und Angehörige, Martin Bohus & Markus Reicherzer, S. 68, Hogrefe GmbH & Co. KG, 2. Überarbeitete Auflage 2020
- Personality Disorders Revisited, Sam Vaknin, 1st Edition, Narcissus Publications Imprint, Prague & Skopje 2007
- Borderline Persönlichkeitsstörung: Das Selbsthilfebuch - Wie Sie die Ursachen der BPS verstehen, erfolgreich behandeln und Schritt für Schritt zu mehr Lebensqualität finden, Thomas Erlberg, Inselliebe-Verlag, Auflage 2022
- Persönlichkeitsstile - Wie man sich selbst und anderen auf die Schliche kommt, Rainer Sachse, Junfermann Verlag Paderborn 2019
- Borderline-Störungen und pathologischer Narzissmus, Otto F. Kernberg, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 3. Auflage 1988
- Praxis Krisenintervention - Handbuch für helfende Berufe: Psychologen, Ärzte, Sozialpädagogen, Pflege- und Rettungskräfte, Oritz-Müller/Gutwinski/Gahleitner (Hrsg.), Kohlhammer Verlag, 3. überarbeitete Auflage 2021
- Schematherapie - Ein praxisorientiertes Handbuch, Jeffrey E. Young, Janet S. Klosko & Marjorie E. Weishaar, Junfermann Verlag Paderborn, 2. Auflage 2008