Weiblicher Narzissmus ist anders. Aber eine Narzisstin muss noch lange keinen weiblichen Narzissmus haben. Da wird es für viele verwirrend. Lass mich mit diesem Artikel Licht ins Dunkel bringen.
Weiblicher Narzissmus vs. männlicher Narzissmus
Männlicher und weiblicher Narzissmus unterscheiden sich erheblich. Auf den ersten Blick erscheinen sie sogar gegensätzlich. Ein Laie würde eine Frau oder einen Mann mit weiblichem Narzissmus wohl kaum ohne weiteres erkennen.
Moment mal. Ein Mann mit weiblichem Narzissmus? Richtig gelesen. Hier kommt es immer wieder zu Begriffsverwirrungen. Denn weiblicher Narzissmus ist eine bestimmte Erscheinungsform der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die häufig bei Frauen vorkommt. Aber eben nicht nur.
Weiblicher Narzissmus kann bei Frauen und Männern auftreten
Eine Narzisstin hat nicht unbedingt auch weiblichen Narzissmus. Sie kann ebenso die männliche Form haben. Genauso wie es Männer mit weiblichem Narzissmus gibt. Auch wenn das deutlich seltener vorkommt.
Bei Narzissmus denken die meisten in erster Linie an exhibitionistische Narzissten, die ihre Grandiosität offen zur Schau stellen. Häufig handelt es sich dabei um Männer. Die Diagnosekriterien der narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS), wie sie beispielsweise im DSM-V beschrieben sind, betreffen ebenfalls eher die männliche Form.
Deshalb ist weiblicher Narzissmus für viele noch unerforschtes Terrain. Obwohl man heute wesentlich mehr weiß, als noch vor zwanzig Jahren. Im deutschsprachigen Raum hat sich hier besonders Dr. Bärbel Wardetzki verdient gemacht, die dieses Thema erstmals im Zusammenhang mit essgestörten Frauen in der Klinik beschrieb.
Dabei fallen einige deutliche Unterschiede zum männlichen Narzissmus auf, die man nicht unbedingt erwarten würde.
Ganz anders als erwartet
Weiblicher Narzissmus ist auf den ersten Blick deutlich unauffälliger, als die männliche Form. Er ist auch viel instabiler. Die betroffenen Frauen definieren ihren Selbstwert in besonderem Maße über ihr Äußeres.
Sind sie hier mit sich im Reinen, fühlen sie sich nicht einfach nur sehr attraktiv sondern tendieren dazu, sich für die Schönste, Beste und Tollste zu halten. Sobald sie einen Makel feststellen oder jemand ihnen ihre Schönheit nicht in "angemessener" Weise spiegelt, stürzt ihr Selbstwertgefühl ins Bodenlose. Es sinkt nicht einfach nur, es schmiert vollkommen ab.
Um diese Abstürze zu vermeiden, haben die Betroffenen über die Jahre verschiedene Abwehrstrategien entwickelt. Dazu gehört beispielsweise Menschen, die nicht in der gewünschten Weise von ihnen verzaubert sind, Neid oder Schüchternheit zu unterstellen. So versuchen sie den Gedanken abzuwehren, dass sie vielleicht doch "nur" attraktiv, aber nicht die attraktivste Frau der Welt sind.
Denn dieses Gefühl brauchen sie, um sich überhaupt wertvoll zu fühlen. Entweder sie sind ganz oben oder ganz unten. Alles unterhalb von ganz oben ist dabei automatisch ganz unten. Nur die Zweitschönste von allen zu sein reicht dabei nicht aus, um ihr Selbstwertgefühl zu stabilisieren. Es darf niemand über ihnen stehen. In diesem Bereich ist ihr Denken digital. Es ist entweder das eine oder das andere. Dazwischen existiert nichts.
Weiblicher Narzissmus
Weiblicher Narzissmus pendelt permanent zwischen Minderwertigkeitsgefühlen und Größenfantasien.
Daraus ergibt sich bereits, dass der weibliche Narzissmus noch viel stärker als die anderen Formen auf äußere Bewunderung angewiesen ist. Bleibt diese Art der narzisstischen Zufuhr aus, ruft dies all ihre größten Sorgen auf den Plan. Eine der Schlimmsten darunter ist, dass jemand anders schöner oder in einem für sie relevanten Bereich besser sein könnte, als sie.
Doch eine Frau mit weiblichem Narzissmus ist nicht nur durch ausbleibende Bewunderung in ihrem Selbstbild gefährdet. Auch ihre Selbsteinschätzung spielt eine große Rolle für die Stabilität ihres Selbstwertgefühls. Da sie bei sich selbst keinen Makel aushält, kann ein Pickel oder der sprichwörtliche Bad-Hair-Day bei ihr zu einem kompletten Selbstbildzusammenbruch führen.
Dann empfindet sie sich nicht mehr wie eine ansonsten sehr attraktive Frau mit einer heute schlecht sitzenden Frisur oder einem kleinen Mitesser, sondern gleich als die hässlichste Frau, die man sich überhaupt nur vorstellen kann.
Männlicher und weiblicher Narzissmus: Die Unterschiede
In vielen Bereichen scheinen männlicher und weiblicher Narzissmus geradezu an gegenüberliegenden Polen des Spektrums zu liegen. Sie versuchen dabei die gleichen Bedürfnisse im Hintergrund zu befriedigen. Es unterscheidet sich lediglich der Weg, den sie wählen, um dieses Ziel zu erreichen.
Autonomie vs. Überanpassung
Männlicher Narzissmus ist sehr autonomiebetont. Er möchte über allen anderen stehen und von unten herauf bewundert werden. So hat er seine narzisstische Zufuhr am liebsten. Diese Art der Anerkennung kann er am besten verarbeiten. Das trifft ganz besonders auf Formen wie den exhibitionistischen oder auch den grandios-malignen Narzissten zu.
Weiblicher Narzissmus versucht hingegen, die benötigte Anerkennung eher durch Überanpassung zu erhalten. Auch ein Mensch mit weiblichem Narzissmus möchte über anderen stehen - besonders über der "Konkurrenz". Doch sind die Betroffenen viel eher bereit, sich in einer Beziehung an die Idealvorstellung ihres Partners anzupassen und so zu seiner "perfekten Partnerin" zu werden.
Natürlich funktioniert das nur bedingt. Sobald die sie merken, dass ihre Rechnung nicht in der erhofften Form aufgeht, kippen sie schnell ins Gegenteil und werten den Partner dafür ab, dass er "eine Frau wie sie" nicht angemessen zu würdigen weiß. Ebenso erhoffen sie sich ihre Anerkennung dadurch zu erhalten, indem sie sich an gängige kulturelle Idealvorstellungen anpassen. Hier besonders im Bereich Mode und Schönheitsideale.
Mangelnde Empathie vs. mangelnde Abgrenzung
Wenn ein männlicher Narzisst überhaupt über Empathie verfügt, dann über kalte Empathie, die er nutzt, um seine Mitmenschen besser manipulieren zu können. Beim weiblichen Narzissmus ist die Empathiefähigkeit deutlich ausgeprägter. Dafür fehlt jedoch meist die Fähigkeit, sich vom Gegenüber abzugrenzen.
Durch die Bereitschaft zur Überanpassung an dessen Idealbild können die Betroffenen ab einem gewissen Punkt kaum noch unterscheiden, was ihr Eigenes ist und was zum Gegenüber gehört. Das trifft ebenso auf Gefühle zu, denn ein Mensch mit weiblichem Narzissmus tendiert dazu, auch die Gefühle seines Umfeldes zu übernehmen und zu spiegeln.
Aktive vs. passive Aggressivität
Männlicher Narzissmus lebt Aggressionen meist deutlich offener und aktiver aus. Ein Mensch mit eher weiblichem Narzissmus tendiert dafür stärker zu passiv-aggressivem Verhalten und fährt nicht selten eine Art Blockade-Politik, um seine Interessen durchzusetzen. Ein beliebtes Spielfeld hierfür ist die Verweigerung der Sexualität innerhalb einer toxischen Beziehung, bis der Partner einlenkt und die eigenen Ziele durchgesetzt wurden.
Identifikation mit dem eigenen idealen Selbst vs. Identifikation mit der Idealvorstellung des Partners
Während ein männlicher Narzisst (genauer wäre: ein Mensch mit eher männlichem Narzissmus) sich stark mit seinem idealisierten und narzisstisch überhöhten Selbstbild identifiziert, neigt jemand mit weiblichem Narzissmus dazu, sich mit der Idealvorstellung des Partners zu identifizieren und danach zu streben, diesem Ideal möglichst detailgetreu zu entsprechen.
So versucht eine Frau mit weiblichem Narzissmus in einer Partnerschaft, möglichst so zu sein und auszusehen, wie ihr Partner sich seine ideale Frau vorstellt.
Weiblicher Narzissmus wird stärker durch das herrschende Geschlechterbild beeinflusst
Auch männliche Narzissten fokussieren sich auf typische Geschlechterrollen. Allerdings ist dieser Hang beim weiblichem Narzissmus deutlich mehr vorhanden. Drohen eigene Makel offenbar zu werden, wehrt sie ein männlicher Narzisst eher dadurch ab, dass er seine Größenfantasien noch zusätzlich aufbläht und versucht, sich und der Welt seine eigene Grandiosität zu beweisen.
Ein Mensch mit weiblichem Narzissmus versucht in so einem Fall, sich noch stärker an die Idealvorstellungen des Partners bzw. der Gesellschaft anzupassen, um das eigene Selbstbild zu stabilisieren.
Weiblicher Narzissmus tendiert zur Opferrolle
Insbesondere Frauen mit weiblichem Narzissmus haben eine Affinität zur Opferrolle, was sich auch mit ihrer Neigung zur passiven Aggressivität und allgemeinen Verweigerungshaltung deckt. Ein eher männlicher Narzisst nimmt eher eine Verfolgerposition ein (beispielsweise in der Love Bombing Phase). Er lebt auch allgemein seine Täterenergie offener aus und nimmt sich direkt, was er will.
Ein Mensch mit weiblichem Narzissmus versucht das, was er sich im Leben wünscht, eher auf eine indirekte Weise zu erlangen. Während ein männlicher Narzisst sich bei einer Bedürfnisspannung schon mal wie ein Raubtier auf der Jagd verhält, benimmt sich ein weiblicher Narzisst hier eher wie die Spinne, die ihr Netz aufspannt.
Weiblicher Narzissmus auf einen Blick
Hier sind einige der wichtigsten Merkmale zusammengefasst, die typisch für weiblichen Narzissmus sind und sich im Alltag leicht beobachten lassen. All diese Anzeichen sind jedoch nur Hinweise. Sie dienen nicht dazu, eine Diagnose zu stellen nach dem Motto:
"Schatz, du hast Stimmungsschwankungen und achtest stark auf dein Äußeres. Du bist eine weibliche Narzisstin, ich hab's doch immer gewusst!"
Diagnosen sind etwas für Fachleute und denen sollten sie auch überlassen bleiben. Außerdem sorgen sie für ein Machtgefälle innerhalb der Beziehung. Aus einer Diagnose kommt niemand wieder raus. Alles, was am Verhalten des Partners stört, wird dann schnell als Beweis für die Theorie seiner Störung gewertet. So etwas vergiftet jede Beziehung.
Dennoch sind hier ein paar Hinweise, denen du im Verdachtsfall nachgehen kannst:
>>> Hier geht's weiter: Narzissmus-Typen: Ein Krankheitsbild - viele Gesichter
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