Emotionale Entfremdung ist ein Prozess, in dessen Verlauf wir uns immer mehr von unseren wahren Gefühlen abschneiden.
Wenn …
erklären wir irgendwann unsere Gefühle zum Feind.
Wie wir Ersatzgefühle entwickeln
Über unsere eigentlichen Emotionen stülpen sich dann Ersatzgefühle, die unser wahres Fühlen zudecken. So müssen wir auch nicht mehr die Hilflosigkeit und Ohnmacht wahrnehmen, die mit der ursprünglichen Situation einhergingen.
Als Kinder sind wir schutz- und hilflos und vollkommen auf die Fürsorge unseres Umfelds angewiesen.
Wir konnten uns nicht entziehen und auch nicht auf die anderen verzichten. Zu sehr haben wir sie gebraucht. Wenn wir ihnen und ihrem verletzenden Verhalten nicht aus dem Weg gehen konnten, blieb oft nur der innere Rückzug.
Nach außen wirken wir dann vielleicht souveräner als jemand, der seinen Schmerz offen zulässt. Es mag so aussehen, als könnten uns andere nichts anhaben oder mit ihren Attacken nicht treffen. Innerlich beschneiden wir uns jedoch um eine ganze Dimension des Menschseins.
In fortgeschrittenen Stadien verzichten wir ganz darauf, Ansprüche an andere zu stellen oder eigene Wünsche zu äußern. Nach dem Motto:
Wenn ich nichts will, kann ich auch nicht enttäuscht werden.
Emotionale Entfremdung in der toxischen Beziehung
Besonders deutlich wird dies manchmal in dysfunktionalen Partnerschaften.
Der Partner, der keine Bedürfnisse mehr erkennen lässt, schließt sich damit hermetisch ab. Er wird für den anderen unerreichbar.
Der Weg in die emotionale Entfremdung ist lang. Selten ist es eine einzige schlimme Erfahrung, die dazu führt, dass sich ein Mensch von seinen wahren Gefühlen entfremdet.
Es ist ein langer innerer Kampf, bis wir emotional gebrochen sind und uns in unser Schicksal ergeben. Resignation kommt nicht über Nacht.
Verstärkt wird die emotionale Entfremdung häufig durch Erfahrungslernen.
Wenn wir als Kinder bemerken, dass wir eher Aufmerksamkeit bekommen, wenn wir weinen oder schreien, können sich daraus schnell unbewusste Verhaltensmuster entwickeln.
Sie begleiten uns oft ein ganzes Erwachsenenleben lang. Diese Muster sind keine willkürlichen Manipulationsversuche.
Sie sind einfach die Spiegelung unserer frühen Prägeerfahrungen.
Emotionale Entfremdung ist eine Überlebensstrategie
Wenn als Kind deine emotionalen Bedürfnissen nicht angemessen erfüllt wurden, kennt später dein inneres Kind einfach keinen anderen Weg, um die emotionale Zuwendung zu bekommen, die wir alle so dringend benötigen.
Erst wenn diese Muster bewusst gemacht und der dahinter stehende Schmerz geheilt ist, können wir neue Wege erlernen, direkt mit dem Wunsch nach Stillung unserer emotionalen Bedürfnisse an unser Umfeld heranzutreten.
Denn wenn wir einen Schmerz erleiden oder uns etwas fehlt, ist es unser natürlicher Impuls, damit nach außen zu gehen und unser Bedürfnis in Beziehung zu bringen.
therapeutische Sprichwort
Der erste Schrei des Säuglings ist ein Schrei nach Beziehung.
Wir signalisieren damit, dass wir etwas brauchen, weil uns etwas fehlt.
Reagiert unser Umfeld angemessen auf unser geäußertes Bedürfnis, entspannen und beruhigen wir uns. Wenn nicht, steigt unser innerer Stress immer mehr.
Kommt das zu häufig vor, kann es in die emotionalen Entfremdung führen.
Emotionale Entfremdung folgt oft einem typischen Verlauf
Die emotionale Entfremdung folgt häufig einem Muster von einer niedrigen zur nächst höheren Stufe. Nicht alle Menschen durchlaufen dabei jede Phase der emotionalen Entfremdung.
Wenn du als Kind nur dann beachtet wurdest, wenn du wütend und ärgerlich warst, wird dies vermutlich auch als Erwachsener zu deiner "bevorzugten" Stufe emotionaler Entfremdung werden, mit der du auf vergleichbaren Stress reagierst.
Hast du erst dann Aufmerksamkeit bekommen, wenn er du in Tränen ausgebrochen bist, wirst du später mit einiger Wahrscheinlichkeit bei entsprechendem Stress direkt mit Traurigkeit auf ein ungestilltes Bedürfnis reagieren und die vorherigen Stufen überspringen.
Und zwar noch bevor du dein eigentliches Bedürfnis geäußert und deinem Umfeld überhaupt die Chance gegeben hat, es zu erfüllen.
Wenn wir keine positive Aufmerksamkeit bekommen können
Aufmerksamkeit ist für uns lebenswichtig. Je jünger wir sind, desto mehr gilt es. Wir müssen wissen, dass man sich um uns kümmert, wenn wir schreien, weinen oder anders unsere Bedürfnisse äußern.
Würde unsere Mutter nicht kommen, wenn wir auf uns aufmerksam machen, könnten wir sterben. Kinder, die keine angemessene positive Aufmerksamkeit bekommen konnten, lernen dann, wie sie negative Aufmerksamkeit bekommen.
Denn negative Aufmerksamkeit ist allemal besser als gar keine. Lieber geschlagen, als gar nicht beachtet zu werden. So manche kriminelle "Karriere" lässt sich daraus erklären.
Der Weg in die emotionale Entfremdung
Emotionale Entfremdung verläuft in Stufen. Alles hängt davon ab, wie unser Umfeld während unserer prägenden Zeit unsere geäußerten Bedürfnisse beantwortet. Als Kinder müssen wir lernen, wie wir unser Umfeld dazu bekommen, auf uns zu reagieren.
Jedes Kind lernt das früher oder später. Manche Kinder machen jedoch auch die Erfahrung, dass sie völlig machtlos sind. Egal, was sie anstellen, sie können ihre Bezugspersonen nicht dazu bewegen, angemessen auf sie zu reagieren.
Werden wir in unserem geäußerten Bedürfnis nicht angemessen beantwortet, eskaliert unser innerer Stress. Wir drehen stufenweise höher, um unserem ungestillten Bedürfnis Ausdruck zu verleihen und uns Gehör zu verschaffen. In der Hoffnung, so doch noch das zu bekommen, was man uns von selbst nicht gewähren wollte oder konnte.
Bekommen wir dann auf einer dieser Eskalationsstufen endlich eine adäquate Antwort, machen wir gleichzeitig die Lernerfahrung, dass wir uns auf diese Weise verhalten müssen, um zu bekommen, was wir brauchen.
Keine emotionale Entfremdung: Stufe 0
Wenden wir uns mit unserem Schmerz über ein ungestilltes Bedürfnis an unsere Umwelt und werden angemessen beantwortet, entwickeln wir keine emotionale Entfremdung.
Das Grundschema ist hier:
Ungestilltes Bedürfnis –> Stress –> angemessene Beantwortung –> Entspannung
Beispiel:
Wenn ein Baby Hunger hat und nach seiner Mutter schreit, dann besteht ein ungestilltes Bedürfnis, aus dem emotionaler Stress entsteht.
Erlebt das Baby nun wiederholt und verlässlich, dass seine Mutter auf sein Signal hin zu ihm kommt und sein Bedürfnis nach Nahrung stillt, entspannt es sich.
Es macht die Erfahrung, dass sein Umfeld auf sein primär geäußertes Bedürfnis angemessen reagiert. Es gibt keinen Grund für eine emotionale Entfremdung.
Emotionale Entfremdung Stufe 1: Ärger und Wut
Erfahren wir auf die Äußerung unseres primären Bedürfnisses keine angemessene Reaktion, steigt unser Stresslevel und wir eskalieren auf die nächst höhere Ebene: Die 1. Stufe emotionaler Entfremdung.
Die vorherrschenden Gefühle dieser Stufe sind Ärger, Wut und Aggression. Diese Emotionen überdecken den Schmerz unseres ungestillten Bedürfnisses und sollen gleichzeitig unserem Umfeld deutlich machen, wie ernst es uns mit unserem Anliegen ist.
Aggressive Gefühle sind aktivierend und expansiv. Sie drängen nach außen und fühlen sich weniger hilflos an, als die Ohnmacht und Verzweiflung über unser ungestilltes Bedürfnis.
Gleichzeitig sollen sie unser Gegenüber veranlassen, seine Haltung zu verändern. Wir werden auf dieser Stufe ziemlich ungemütlich. Unsere aggressiven Gefühlsäußerungen sollen dem anderen Stress bereiten und ihn so zu einer Reaktion bewegen.
Das Grundschema sieht hier so aus:
Ungestilltes Bedürfnis –> Stress –> mangelnde Beantwortung -–> mehr Stress -–> Ärger / Wut
Beispiel:
Ein sechsjähriger Junge steht mit seiner Mutter an der Supermarktkasse. Natürlich sind dort geschickt allerlei Leckereien präsentiert. Die Supermarktbetreiber sind nicht doof.
Sie wissen, dass dies die Wünsche der Kinder stimuliert und zu Diskussionen mit den Eltern führt. Der Junge sieht seinen Lieblings-Schokoriegel im Regal und verspürt plötzlich große Lust, ihn zu essen. In ihm entsteht ein ungestilltes Bedürfnis.
Dies trägt er an seine Mutter heran, indem er sie ganz einfach bittet, ihm einen Schokoriegel zu kaufen. Die Mutter bleibt jedoch hart und verweigert ihm die Erfüllung seines Bedürfnisses.
Dadurch wird das Verlangen des Jungen nur noch größer (der innere Stress steigt). Er wird ärgerlich und wütend auf seine Mutter und beginnt, diesen Ärger auch zu zeigen.
Er stampft mit dem Fuß auf und macht Theater. Schließlich gibt die Mutter nach, weil ihr die Szene vor den anderen Supermarktkunden peinlich ist. Sie beantwortet also nun doch sein Bedürfnis. Der Junge hat etwas gelernt:
„Wenn ich nur wütend und ärgerlich genug werde, bekomme ich am Ende was ich will und brauche.“
Emotionale Entfremdung Stufe 2: Traurigkeit
Bleibt auch auf Stufe 1 eine angemessene Beantwortung aus, werden wir traurig. Die Trauer überdeckt dann sowohl den Ärger über die Nichterfüllung unseres ursprünglichen Bedürfnisses, als auch das ursprüngliche Bedürfnis selbst.
Haben wir als Kinder erlebt, dass man nur auf uns reagiert, wenn wir traurig sind, entstehen daraus Lernerfahrungen für das spätere Leben.
Wir haben dann begriffen, dass wir erst richtig traurig werden müssen, um zu bekommen, was wir brauchen.
So jemand überspringt später meist die Stufe des Ärgers und wendet sich bei einem auftretenden Bedürfnis gleich mit geäußerter Traurigkeit an seine Umwelt.
Das Grundschema hier sieht so aus:
Ungestilltes Bedürfnis –> Stress –> mangelnde Beantwortung -–> mehr Stress –-> Ärger und Wut -–> erneute mangelnde Beantwortung –--> noch mehr Stress –--> Traurigkeit
Beispiel:
Bleiben wir bei dem Jungen an der Supermarktkasse. Erfährt dieser nun wiederholt, dass er auch mit seinem Ärger nicht weiterkommt, wird er schließlich irgendwann traurig.
Viele Eltern können die Traurigkeit ihres Kindes nicht ertragen.
Außerdem befürchtet die Mutter vielleicht, vor den anderen Kunden als Rabenmutter dazustehen, wenn sie auf das Weinen ihres Sohnes nicht eingeht.
Der soziale Druck auf die Mutter steigt. Es wird schwieriger für sie, bei ihrer Verweigerungshaltung zu bleiben.
Deshalb entschließt sie sich, jetzt doch nachzugeben und das Bedürfnis ihres Sohnes zu beantworten. Der Sechsjährige hat gelernt:
„Wenn ich richtig traurig bin, bekomme ich, was ich brauche.“
Emotionale Entfremdung Stufe 3: Resignation / Depression
Müssen wir wiederholt feststellen, dass selbst unsere Traurigkeit nichts bewirkt und all unsere Versuche, von unserem Umfeld in unseren Bedürfnissen beantwortet zu werden, ergebnislos bleiben, geben wir irgendwann auf und resignieren.
Wir ziehen uns in unsere Innenwelt zurück. Der Außenwelt begegnen wir immer teilnahmsloser.
Wir geben uns Tagträumen hin und erwarten nicht mehr viel vom Leben. Von anderen schon gar nicht. In der Resignation stellen wir kaum noch Ansprüche an unsere Umwelt.
„Wenn ich nichts erwarte, kann ich auch nicht verletzt werden.“
Auf dieser Stufe begleiten uns Gefühle der Gefühllosigkeit, Taubheit, Teilnahmslosigkeit und Gleichgültigkeit. Wer sich auskennt, entdeckt darin viel Ähnlichkeit mit den Beschreibungen einer klassischen reaktiven Depression.
Resignation und Depression haben viele Gemeinsamkeiten. Resignation kann sich jedoch auch verdeckt äußern. Zum Beispiel durch übertriebene Heiterkeit.
So manche überdrehte „Betriebsnudel“ steckt in Wahrheit tief in der Resignation. Die Psychopathologie kennt hier verschiedene Formen der Depression.
Beispielsweise die „agitierte Depression“. Hier versteckt sich die Depression hinter übertriebener Aufgedrehtheit, Betriebsamkeit und unechter Heiterkeit.
Übersteigertes Selbstmitleid kann ebenfalls eine Form getarnter Resignation sein.
In der Resignation fragen wir erst gar nicht mehr nach dem „Schokoriegel“, weil wir nichts mehr erwarten.
Das Grundschema auf der dritten Stufe ist:
Ungestilltes Bedürfnis –> Stress –> mangelnde Beantwortung -–> mehr Stress -–> Ärger und Wut -–> erneute mangelnde Beantwortung –--> noch mehr Stress --–> Traurigkeit --–> erneute mangelnde Beantwortung ---–> noch mehr Stress ---–> Resignation
Emotionale Entfremdung Stufe 4: Psychosomatik
Wenn der Stress, der durch psychische Konflikte auf den Körper einwirkt, mit der Zeit zu körperlichen Symptomen führt oder aus der Psyche in den Körper abgeschoben wird, befinden wir uns auf der 4. Stufe emotionaler Entfremdung.
Das Grundschema auf der vierten Stufe ist:
Ungestilltes Bedürfnis –> Stress –> mangelnde Beantwortung -–> mehr Stress -–> Ärger und Wut -–> erneute mangelnde Beantwortung –--> noch mehr Stress --–> Traurigkeit --–> erneute mangelnde Beantwortung ---–> noch mehr Stress ---–> Resignation -----> Chronifizierung -----> Psychosomatik
Dies kann als direkte Folge des Dauerstresses geschehen, oder im Sinne eines Abwehrmechanismus, wie ihn bereits Sigmund und Anna Freud definiert haben.
Hier dann als eine von zwei Möglichkeiten:
- Konversion: Ein ursprünglich psychischer Konflikt wird auf körperliche Symptome verlagert. Diese stehen in einer symbolischen Beziehung zum verborgenen Konflikt. Ein Beispiel wäre der früher gebräuchliche Begriff „hysterische Lähmung“.
- Somatisierung: Ein ursprünglich psychischer Konflikt wird nicht psychisch, sondern in Form körperlicher Symptome wahrgenommen. Diese haben jedoch im Gegensatz zur Konversion keinen Ausdrucksgehalt, also keinen Symbolbezug zum zugrunde liegenden psychischen Konflikt.
Die oben angeführten Beispiele sind übrigens absichtlich sehr banal gewählt. Sie sollen auch nicht als Erziehungsratschläge verstanden werden.
Mir ging es nur darum, die hinter dem Prinzip der emotionalen Entfremdung wirkende Dynamik anschaulich zu machen. Im wahren Leben geht es um mehr, als nicht gewährte Schokoriegel. Aber das dürfte sich von selbst erklären.
Emotionale Entfremdung in der toxischen Beziehung
Emotionale Entfremdung kann nicht nur durch Erfahrungen in unserer Kindheit entstehen, obwohl dort meist die Grundlagen gelegt werden. Doch auch wenn jemand derart geprägt wurde, schafft er es häufig noch, sein Leben so zu gestalten, dass er davon nur wenig beeinträchtigt wird.
Gerät er dann jedoch in eine toxische Beziehung mit einem Narzissten, sieht die Sache ganz anders aus. Das dysfunktionale und destruktive Verhalten des Partners kann diese alten Prägungen aktivieren. Es ist oft das Zünglein an der Waage, das die bisherigen Kompensationsmechanismen zum Einsturz bringt.
Was bisher noch gut kompensiert wurde, funktioniert nun überhaupt nicht mehr. Wir fallen auf eine frühere Entwicklungsstufe unserer Persönlichkeit zurück und reagieren verzweifelt, hilflos und ohnmächtig - wie das kleine Kind, das wir einmal waren.
Dann zeigt sich, dass das, was wir bewältigt zu haben glaubten, die ganze Zeit nur unterhalb der Oberfläche geschlafen hat. Plötzlich kehrt es mit seiner vollen Wucht zurück. Spätestens wenn dies passiert, wird es aller höchste Zeit, sich dieser alten Wunden anzunehmen.
Wie du emotionale Entfremdung verhinderst
Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass wir, sobald uns jemand die Erfüllung eines Bedürfnisses verwehrt, in die emotionale Entfremdung abrutschen. Das ist nicht der Fall.
Entscheidend ist die emotionale Zugewandtheit, nicht so sehr die Erfüllung oder nicht Erfüllung unseres ursprünglichen Wunsches.
Das wird dich sicher besonders interessieren, wenn du selbst Kinder hast.
Wir müssen einfach nur spüren, dass wir in unserem Bedürfnis angemessen wahrgenommen werden. Empathie ist hier das Schlüsselwort.
Wenn du deinem Kind zugewandt erklärst, warum du seinem Wunsch nicht entsprechen wirst, machst du alles richtig. Selbstverständlich wird es nicht begeistert sein, wenn es seinen Wunsch nicht erfüllt bekommt. Aber:
therapeutische Erkenntnis
Das größere Bedürfnis hinter jedem Bedürfnis ist emotionale Zuwendung.
Wichtig ist nur, dass sich das Kind in seinem Bedürfnis gesehen fühlt, auch wenn ihm mal aus Vernunftgründen nicht entsprochen wird.
„Jonas, ich weiß, dass du noch einen Schokoriegel möchtest. Das kann ich sogar verstehen. Manchmal habe ich auch das Bedürfnis danach, so viele Schokoriegel zu futtern, bis ich platze.
Erinnerst du dich noch an unser Gespräch vom Donnerstag? Als wir gesagt haben, du bekommst zwei Schokoriegel pro Woche, weil Schokoriegel schlecht für die Zähne sind und es Papa und mir am Herzen liegt, dass du gesund bleibst und keine Zahnschmerzen bekommst?
Schau mal, du hattest Montag einen und Mittwoch auch. Heute ist Samstag. Das heißt, du hattest deine beiden Schokoriegel für diese Woche schon. Erinnerst du dich?
Noch zweimal schlafen, dann bekommst du gerne den nächsten. Dann auch einen richtig Großen, wenn du magst. Einverstanden?“
Vielleicht ist Jonas trotzdem nicht einverstanden und macht weiterhin Theater. Bei einem sechsjährigen entwicklungspsychologisch gesehen gar nicht so unwahrscheinlich.
Aber mit Sicherheit wird er, wenn seine Eltern auf diese Weise zugewandt bleiben, später kein Problem mit emotionaler Entfremdung entwickeln.
Und nochmal kurz zur Erinnerung. Das Beispiel soll den Hintergrund vereinfacht darstellen. Bei emotionaler Entfremdung geht es nicht um Schokoriegel oder Spielsachen, die nicht gewährt werden.
Gefühle sind kein verlässlicher Gradmesser für den Fortschritt eines Heilungsprozesses
Aus all dem ergibt sich, dass unsere emotionale Befindlichkeit kein zuverlässiger Gradmesser für den Erfolg eines Coaching- oder Therapieprozesses sind.
Angenommen, du hast bisher in bestimmten Situationen auf Stufe 2 (Traurigkeit) festgesteckt und bemerkst im Rahmen deines Entwicklungsprozesses nun, dass in dir eine ungeheure Wut aufsteigt, die du nie zuvor bewusst wahrgenommen hast.
Subjektiv wirst du dich dadurch erstmal noch nicht unbedingt besser fühlen. Im Gegenteil. Diese unbekannten Gefühle können uns eine Scheißangst einjagen.
Aus Prozesssicht gesehen bist du jedoch gerade dabei, dich durch deine Schichten emotionaler Entfremdung zu deinen wahren Bedürfnissen und Gefühlen hindurchgraben. Du gehst die Stufen der emotionalen Entfremdung rückwärts.
Du wirst immer fähiger, mehr aus deinem wahren Kern heraus zu leben. Deine Gefühle sind wieder mehr in Kontakt mit dem, was du gerade erlebst. Sie sind wieder DEINE Gefühle. Du lebst authentischer und bekommst wieder mehr Zugang zu deinen guten Gefühlen. Das Leben fühlt sich dadurch reicher und bunter an.
Noch mehr über emotionale Entfremdung erfährst du in meiner Podcast-Folge dazu.
Höre Dir hier die zugehörige Podcast-Folge an:
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